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Menschenjagd

Menschenjagd

Titel: Menschenjagd
Autoren: Stephen King
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Scheißkerle vorknöpfen und sie in ein tiefes Loch stecken. Und viele andere, die genauso sind wie sie.«
    »Ich möchte nachdenken. Wiedersehen.«
    »Ich …«
    Richards schaltete das Free-Vee ab, sodass nur noch eine schwarze Fläche zu sehen war. Wie versteinert saß er in seinem Sitz. Seine Hände baumelten zwischen seinen Knien. Das Flugzeug brummte weiter in die Dunkelheit.
    So, dachte er. Es hat sich alles entwirrt. Wirklich alles.

… Minus 012 Countdown läuft …
     
    Eine Stunde verging.
    Die Zeit ist gekommen, das Walross sprach, zu reden von vielen Dingen … von Segelschiffen und Siegelwachs, und ob Schweine haben Schwingen.
    Bilder huschten ihm durch den Kopf. Stacey. Bradley. Elton Parrakis mit seinem Babygesicht. Der Albtraum seiner Flucht. Das Anzünden der Zeitungen im Bostoner YMCA-Keller mit seinem letzten Streichholz. Das Quietschen der Bremsen und der Benzingestank der Polizeiwagen, die ihn verfolgten, die Flammen spuckende Maschinenpistole. Laughlins säuerliche Stimme. Die Bilder von diesen beiden Kindern, den Junior-Gestapoagenten.
    Warum eigentlich nicht?
    Keine Bindungen mehr, schon gar nicht moralische Bedenken. Wie könnte Moral ein Thema für einen Mann sein, der, losgelöst von allem, frei im Kosmos trieb? Wie klug von Killian, das zu sehen und ihm mit gelassener und sanfter Brutalität vor Augen zu halten, wie allein er war. Bradley und sein leidenschaftlicher Kampf gegen die Luftverschmutzung schienen meilenweit entfernt zu sein, irreal, unwichtig. Nasenfilter. Ja. Es hatte eine Zeit gegeben, da war ihm der Kampf um Nasenfilter groß und sehr wichtig vorgekommen. Das war vorbei.
    Die Armen wirst du immer bei dir haben.
    Richtig. Sogar Richards’ Lenden hatten ein Muster für die Tötungsmaschine gezeugt. Die Armen würden sich schließlich anpassen, mutieren. In zehn- oder fünfzigtausend Jahren würde ihre Lunge ein eigenes Filtersystem entwickeln. Dann würden sie sich erheben und den Reichen die künstlichen Filter aus der Nase reißen, würden zusehen, wie sie sich krank und stöhnend auf den Straßen wanden und langsam ihr Leben aushauchten, wie sie in einer Atmosphäre erstickten, in der Sauerstoff nur noch eine geringe Rolle spielte. Und was bedeutete Zukunft für Ben Richards? Sinnlos sich zu beschweren.
    Eine Trauerzeit würde folgen. Sie würden das akzeptieren, ihn sogar dabei unterstützen. Es würde Wutausbrüche geben, Augenblicke der Auflehnung. Vergebliche Versuche, die Öffentlichkeit auf die absichtliche Luftverschmutzung durch die Regierung aufmerksam zu machen? Vielleicht. Darum würden sie sich kümmern. Sie würden sich auch um ihn kümmern – in der Erwartung, dass er sich eines Tages um ihre Angelegenheiten kümmern würde. Instinktiv wusste er, dass er dazu fähig wäre. Er nahm an, dass er sogar eine gewisse geniale Veranlagung für diesen Job hatte. Sie würden ihm helfen, ihn heilen. Arzneien und Ärzte. Eine Änderung der Einstellung.
    Dann Frieden.
    Seine Streitsüchtigkeit würde wie Unkraut aus ihm herausgejätet werden.
    Er betrachtete den Frieden sehnsüchtig, wie ein Mann in der Wüste Wasser betrachtet.
    Amelia weinte in ihrem Sitz immer weiter vor sich hin, obwohl sie schon längst keine Tränen mehr hätte haben dürfen. Er fragte sich, was nun aus ihr werden würde. In ihrem gegenwärtigen Zustand konnte sie schlecht zu ihrer Familie zurückkehren. Sie war einfach nicht mehr die Lady, die routinemäßig, den Kopf voller Kochrezepte und Termine für Wohltätigkeitsveranstaltungen, an einem Stoppschild gehalten hatte. Sie hatte in den Abgrund geblickt. Er nahm an, dass es Medikamente und eine Therapie geben würde, eine Patientin, die angibt. Der Scheideweg, Aufzeigen des Grundes, warum der falsche Weg eingeschlagen wurde. Ein Karneval in dunklen übergeschnappten Brauntönen.
    Plötzlich hatte er das Verlangen, auf sie zuzugehen und sie zu trösten. Ihr zu sagen, dass es gar nicht so schlimm um sie stünde und dass ein einfaches, psychisches Kreuzpflaster sie schnell wieder gesund machen würde, dass es ihr dann sogar besser als zuvor ginge.
    Sheila. Cathy.
    Ihre Namen kamen und wiederholten sich, ertönten in seinem Gehirn wie Glocken, wie Worte, die man so lange wiederholt, bis sie keinen Sinn mehr ergeben. Sprich deinen Namen mehr als zweihundert Mal aus, und du stellst fest, dass du niemand bist. Trauer war unmöglich; er spürte nur Verärgerung und Verlegenheit. Sie hatten ihn genommen, ihn völlig ausgepowert, und er hatte sich als
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