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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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und hob sie hoch. Sie zappelte und protestierte in seinen Armen, aber er achtete nicht weiter darauf, sondern drückte sie fest an sich und lief zur Haustür.
    Als er ihr Grundstück verlassen hatte und zum Schiffsanleger lief, entspannte Maja sich in seinen Armen und fing an zu lachen.
    »Hühott, Pferdchen!«, schrie sie und schnalzte mit der Zunge.
    Er hörte das Geräusch seiner Füße auf dem Weg, aber es war kein Kies, worauf er lief. Der Kies wurde zermahlen, fiel in sich zusammen, und die Maiglöckchen am Wegrand ließen die Köpfe hängen, wurden zur Erde herabgezogen und undeutlich.
    Er nahm den kürzesten Weg über die Felsen, aber die Felsen waren glatt und dunkel geworden. Der Himmel löste sich auf wie eine Wolke im Sturm. An den Bootsstegen standen zwei Menschen in altertümlichen Kleidern, schrien sich an und schauten sich gleichzeitig in panischer Angst um.
    Alles außer den Menschen war dabei, einzuschrumpfen und in Zeitlupe zu implodieren, und als Anders mit Maja im Arm zum Boot lief, sah er für den Bruchteil einer Sekunde, was er nicht sehen durfte. Woraus diese Welt wirklich bestand. Er hätte sein Gesicht in Furcht oder Anbetung in den Staub geworfen, wenn da nicht …
    »Hühott, Pferdchen!«
    … wenn da nicht Maja gewesen wäre, die er wegschaffen musste.
    Als er ins Boot sprang und Maja im Bug auf die Ducht setzte, erkannte er, dass sein Gewaltmarsch nur wenige Sekunden gedauert hatte. Er war auf die Felsen gekommen und hatte noch gedacht, dass sie glatt aussahen, und unmittelbar darauf war er an ihnen vorbei gewesen, ohne zu merken, wie es dazu gekommen war.
    Er ließ den Motor an und hatte kaum gewendet, als sie auch schon auf Gåvasten waren. Die Entfernungen schnurrten zusammen, und alles näherte sich allem.
    Gåvasten blieb. Der weiße Leuchtturm ragte weiter in den jetzt abendlich dunklen Himmel auf, aber als Anders sich nach Domarö umdrehte, lag die Insel nur noch zehn Meter entfernt. Die Perspektive hatte sich verschoben, und Domarö war so groß wie aus einem Kilometer Abstand, aber er begriff, dass die Insel näher war, da er die Menschen sehen konnte. Ihre winkenden Arme, ihre laufenden Körper.
    Und Domarö wurde immer flacher. Die Insel versank.
    »Komm, Liebes! Komm schnell!«
    Maja krabbelte aus dem Bug und sprang aufs Felsenufer. Sie hatte gesehen, was er sah, und fürchtete sich. »Wo wollen wir hin?«
    Sie streckte die Arme zu ihm hoch, und er nahm sie wieder auf den Arm und lief zur Ostseite der Insel.
    Hoffentlich ist sie noch da, hoffentlich ist sie noch da …
    Die Treppe war zwar noch da, aber als er die Felsen im Osten erreichte, hatte auch das Meer begonnen, seine Maske fallen zu lassen, und löste sich in einen bleigrauen Nebel auf, durch den die Treppe hinabführte.
    Anders setzte Maja ab, die Tino Tatz ganz fest hielt, ging in die Hocke und sagte so fröhlich, wie er nur konnte: »Komm. Du darfst auf meinen Schultern reiten.«
    Maja steckte sich den Daumen in den Mund und nickte. Anders stieg die oberste Treppenstufe hinab, und Maja legte mit etwas Mühe die Beine um seinen Hals. Sie wollte weder den Daumen aus dem Mund nehmen noch Tino Tatz loslassen. Er schloss die Arme fest um ihre Knie, damit sie nicht herunterfiel, und begann den Abstieg.
    Sie bewegten sich in ihrem engen Raum aus Luft, und der Weg hinunter wurde zum Weg hinauf, ohne dass er merkte, wann es geschah. An irgendeinem Punkt änderte die Treppe ihre Richtung, und der Nebel ringsumher wurde zu Wasser. Schweiß lief ihm in die Augen, und er vergaß, ihn zu bitten, damit aufzuhören. Er hatte Schmerzen in den Beinen, im Rücken, im Nacken, aber er umarmte Majas Knie und bewegte sich aufwärts, wobei ihn unablässig die Angst umtrieb, er könnte stolpern und auf den unebenen Treppenstufen fallen.
    Seine Lunge brannte, als er erneut auf den Felsen des anderen Gåvastens stand, und jeder keuchende Atemzug enthielt einen Hauch eingefressenen Tabakrauchs, der auf seiner Flucht losgekratzt worden war. Als er in die Hocke ging, um Maja herunterzulassen, fiel er um. Maja schrie auf und stürzte seitlich auf die Felsen, landete aber auf der Tino-Tatz-Puppe.
    Sie weinte und schrie nicht, saß nur zusammengekauert und mit weit aufgerissenen Augen da, umarmte ihre Puppe und lutschte an ihrem Daumen. Anders streckte lahm die Hand aus und berührte ihren Fuß, als wollte er sichergehen, dass sie auch wirklich da war. Sie sah ihn mit denselben aufgerissenen Augen an, sagte aber nichts.
    Das Innere seines
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