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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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mir. Durchs Wasser.
    Es wurde still in ihm. Enttäuschung und Frustration fielen von ihm ab. Er versuchte es vor sich zu sehen, versuchte zu denken.
    Sie kam zu mir …
    Er hob den Kopf und betrachtete die kleine blaue Gestalt neben dem Bett, die mittlerweile eine herzförmige Stiftplatte hervorgeholt und begonnen hatte, sie mit Perlen zu füllen. Maja.
    Aber das war eben nicht Maja. Das, was Maja war, Erinnerungen und Bilder hatte und sprechen konnte, war zu ihm gekommen und hatte es irgendwie geschafft, ins Meer zu fliehen. Neben dem Bett saß nur ihr Körper, oder was von ihr erforderlich war, damit er sah, was er sehen wollte.
    Maja?
    Es gab einen Punkt, an dem sich die beiden Welten berührten und vermischten. Dieser Punkt war er selbst, weil sie in ihm war. Er schloss die Augen und suchte sie.
    Wir spielen kein Verstecken mehr, Kleines. Du kannst rauskommen. Komm her! Das Spiel ist aus, die Gefahr ist vorbei.
    Er konzentrierte sich auf das, was mit Elin passiert war. Auf das, was in dem Eimer gewesen war, was sie aus ihr herausgezwungen hatten, um es ins Meer zurückzubringen. Irgendwo in seinem Inneren gab es etwas Vergleichbares. Jetzt rief er es an, suchte er es im Dunkel seines Körpers.
    Wo bist du … wo bist du …
    Wie das silberne Schimmern eines Fisches in einem Netz tief unter der Oberfläche erblickte er es. Es war auf seinen ganzen Körper verteilt, aber er näherte sich gleichzeitig aus allen Richtungen und brachte es so dazu, sich zu verdichten, zusammenzuziehen und zu einer formlosen, schwebenden Masse zu werden, die er mit seinem Bewusstsein erfassen und lokalisieren konnte. Jetzt war es in seinem Bauch und umkreiste das Insekt, das in Panik zappelte und schlug.
    Alles um ihn herum war verschwunden, unwirklich. Seine Kraft und seine Gedanken waren nur auf eins konzentriert: am Ungreifbaren festzuhalten. Während er sich mit geschlossenen Augen auf Majas Körper zubewegte, musste er ein Fünkchen seiner Aufmerksamkeit den eigenen Bewegungen widmen, und dieses andere drohte sich aus seinem Griff zu winden wie der Aal aus den Fingern seines Vaters.
    Er verdrängte den Aal, konnte jetzt nicht an den Aal denken, nicht an seine Knie denken, als sie über den Boden glitten, durfte weder hoffen noch wünschen, als seine Finger erneut über Majas Körper glitten, bis er direkt vor ihr saß. Noch hatte er sie im Griff, noch war sie in der Dunkelheit in seinen gedachten Händen, als er sich vorbeugte und seinen Mund auf ihren legte.
    Komm. Raus.
    Er schob es vor sich her aus dem Bauch und durch die Kehle und empfand es tatsächlich als einen kleinen Körper, einen Strang samtener Flüssigkeit, die über seine Zunge, durch seine Lippen und in ihren Mund glitt.
    Er stöhnte auf und sank in sich zusammen. Ein Teil von ihm hatte ihn verlassen. Er wagte nicht hinzusehen. Mehr gab es nicht. Er hielt die Augen geschlossen, und es herrschte Stille. Dann hörte er Majas Stimme:
    »Papa, was ist los?«
    Langsam öffnete er die Augen. Maja saß vor ihm und sah ihn mit gerunzelter Stirn an.
    »Bist du traurig? Warum hast du Tino Tatz?«
    Er sah ihr in die Augen, ihre grünbraunen Augen, die ihn fragend anschauten. Ein großer Körper änderte seine Lage, und ein Beben lief durch die Welt.
    Dem Röcheln, das aus seinem Hals drang, entnahm er, dass auch er nun Laute von sich geben konnte. Majas bekümmerter Gesichtsausdruck veränderte sich langsam zu Angst, weil er sich so seltsam benahm. Er schluckte alles, was herauswollte, herunter, befreite die Puppe vom Schneeanzug und hielt sie ihr hin.
    »Die hab ich dir mitgebracht.«
    Maja griff nach der Puppe und umarmte sie, wiegte sich vor und zurück. Anders hörte das schwache Rascheln, wenn die Ellbogen über ihre Schenkel gezogen wurden, lehnte sich zu ihr vor und roch den Duft des Kindershampoos, der aus ihrem Haar aufstieg. Er strich ihr über die Wange.
    »Maja, Kleines …«
    Maja blickte auf, sah ihn an. Erneut zog ein Beben durchs Haus, und er spürte es als eine kräftige Vibration in den Bodendielen. Maja schrie auf.
    »Was ist das?«
    »Ich glaube …«, antwortete Anders und nahm ihre Hand, während er gleichzeitig aufstand, »… ich glaube, wir müssen jetzt gehen.«
    Maja sperrte sich. »Wo sollen wir denn hingehen? Ich will nicht gehen!«
    Das Haus bebte, und Anders sah den Feuerhaken neben dem offenen Kamin umkippen. Majas Perlenhaufen verteilten und vermischten sich, und sie befreite sich aus seinem Griff, um sie neu zu sortieren.
    Er bückte sich
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