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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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erreichten, war die Eisdecke von der Insel geschüttelt worden. Er musste einen langen Schritt über die Wasserrinne machen, um weiter zum Boot rennen zu können, das noch festgefroren weiter draußen lag.
    Als er es erreichte und Maja absetzte, krachte und knackte es. Risse liefen durch die blanke Eisfläche, und alle Vögel hoben ab und schrien erregt, als das Eis brach und dunkle Streifen Wasser auftauchten.
    Ich bin das Meer.
    Er machte das Eis vor dem Boot zu Wasser, er packte das Boot und zog es mit sich. Maja wäre fast von der Ducht gefallen, als das Boot in der Straße aus offenem Wasser, die sich vor dem Bug bildete, Fahrt aufnahm. Sie klammerte sich an die Reling und lachte.
    »Schneller! Schneller!«
    Anders schüttelte den Kopf. Es interessierte sie überhaupt nicht, wie das möglich war. Wichtig war nur, dass es Spaß machte, weil sie schnell fuhren. Er war das Meer und schleuderte das Boot mit noch größerer Kraft vor sich her. Majas Haare flatterten, als sie sich an der Reling festhielt und mit dem Oberkörper vor und zurück wippte, als wollte sie so mithelfen, das Boot antreiben.
    Ein heftiger Knall schallte durch die Landschaft, und Anders wandte sich um. Östlich von Gåvasten stieg durch das meterdicke Eis, das an seinen Rändern zerschlagen wurde, ein schwarzer Körper auf. Er war bereits einen Meter hoch und etwa zwanzig Meter breit, und sein Umfang wuchs beständig, während er aufstieg.
    Sie waren so weit entfernt, dass Anders keine einzelnen Vögel mehr erkennen konnte, aber er sah, dass der komplette Schwarm auf das herabstieß, was sich dort aus dem Meer erhob, dass die Vögel es mit ihren kleinen Schnäbeln, die nicht viel mehr Schaden anrichten konnten als ein Mückenstich, attackierten.
    Anders wandte das Gesicht Domarö zu, das schnell näher kam. Eine Mücke war winzig, nichts gegen einen Menschen, der sie mit dem kleinen Finger erschlagen konnte. Tausend Mücken waren dagegen schon etwas anderes. Vielleicht war der Kampf der Möwen ja doch nicht so aussichtslos, wie es schien.
    Die Eisdecke war zu großen Schollen zersplittert, als Anders das Boot zu dem gleichen Bootssteg lenkte, an dem er es in der anderen Welt vertäut hatte. Er half Maja auf den Steg hinauf und wandte sich erneut dem Meer zu.
    Neben Gåvasten gab es nun eine neue Insel, ebenso hoch wie der Leuchtturmfelsen und mindestens fünfmal so breit.
    Gunnils Ohr, Goldenohr. Die Insel der Träume.
    Ein Stoß lief durchs Meer, und der Steg unter Anders’ Füßen wankte.
    Sowohl Gåvasten als auch die andere Insel verschwanden, und Anders blinzelte verwirrt. Der Horizont bewegte sich, waberte an den Rändern wie Asphalt in greller Sonne.
    Er begriff. Ein weiteres Mal nahm er Maja auf den Arm und trug sie an Land. Als er zum Schiffsanleger lief, sah er, dass Mats, der Ladenbesitzer, dort stand und durch ein Fernglas schaute. Seine Frau Ingrid stand neben ihm. Mats senkte das Fernglas, schüttelte den Kopf und sagte etwas zu ihr.
    »Hallo!«, schrie Anders. »Mats! Hallo!«
    Mats sah ihn. »Anders, was …!« Er starrte das blaue Bündel in Anders’ Armen an und zeigte darauf. »Ist das nicht …«
    Anders kam auf den Anleger.
    »Ja«, sagte er. »Schalt den Feueralarm ein, und zwar sofort!«
    »Wie bitte … ich meine …«
    »Mats, bitte, vertrau mir einfach. Es geht alles zum Teufel. Schalt die Sirene ein und …« Anders schielte aufs Meer hinaus. Der Horizont war ein weiteres Stück gen Himmel gestiegen »… mach, dass du wegkommst. Sofort!«
    Mats schaute aufs Meer hinaus, und ihm fiel die Kinnlade herunter, als auch er erkannte, was sich dort anbahnte. Mit Ingrid neben sich rannte er zum Laden hinauf. Anders folgte ihnen mit Maja im Arm und erreichte das Geschäft, als Mats den Schrank öffnete. Er schaltete die Sirene an, die ihre trauernden Schreie über die Felsen Domarös sandte.
    »Die Leute sind nicht zu Hause«, erklärte Mats und schloss den Schrank aus alter Gewohnheit wieder ab.
    Während sie aufwärtsliefen, dankte Anders einem glücklichen Stern dafür, dass die Kinder noch in der Schule waren und alle Einwohner Domarös mit einem Job auf dem Festland noch arbeiteten.
    Er drehte sich um.
    Die Welle war nur noch einige Hundert Meter entfernt. Obwohl sich Anders inzwischen auf einem höheren Aussichtspunkt befand, war die Welle so hoch, dass sie Gåvasten und alles, was daneben lag, verdeckte. Maja sah sie auch.
    »Papa, müssen wir jetzt sterben?«
    »Nein, Prinzessin«, antwortete Anders, während
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