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Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Titel: Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
Autoren: Håkan Nesser
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an seine Mutter.
    Er dachte an Jeanette. Nein, er dachte nicht an sie. Er versuchte, sie sich vorzustellen.
     
    Sie hatte vor einer Woche angerufen. Am vergangenen Samstag.
    »Du erinnerst dich natürlich nicht an mich«, sagte sie.
    »Nicht richtig«, musste Walter eingestehen.
    »Ich bin etwas jünger als du. Aber wir sind in die gleiche Schule gegangen. Sowohl in Malmen als auch im Gymnasium. Nur dass ich ein paar Klassen unter dir war.«
    »Ach so«, sagte Walter.
    »Ja, du wunderst dich natürlich, wieso ich dich anrufe.«
    »Nun ja«, zögerte Walter.
    »Ich habe diese Sendung im Fernsehen gesehen.«
    »Das haben wohl viele.«
    »Ja, natürlich. Aber es ist so, dass ich … ach, ich weiß nicht, wie ich das sagen soll. Ich mag dich, Walter.«
    »Danke.«
    Zu diesem Zeitpunkt hatte er den Hörer auflegen wollen, aber es war etwas in ihrer Stimme, das ihm gefiel. Sie war irgendwie etwas schroff und ernsthaft. Sie klang nicht, als ob sie verrückt wäre, auch wenn das, was sie bis jetzt gesagt hatte, möglicherweise darauf hindeutete.
    »Tatsache ist, dass ich dich immer gemocht habe. Du hast zu der kleinen Gruppe von Jungen gehört, die wirklich etwas Besonderes waren. Wenn du nur wüsstest, wie oft ich an dich gedacht habe, als wir Teenager waren. Und …«
    »Ja?«
    »Und du weißt nicht einmal, wer ich bin. Das ist doch fast ein bisschen ungerecht.«
    »Das tut mir leid.«
    »Das braucht es nicht. In diesem Alter hält man sich ja in erster Linie an seinen eigenen Jahrgang. Guckt sozusagen nicht nach unten, das liegt wohl in der Natur der Sache.«
    Neue Pause, während der er sich problemlos hätte bedanken und auflegen können. Er hatte tatsächlich das Gefühl, als wolle sie ihm noch einmal eine Chance geben.
    »Hm, warum rufst du eigentlich an?«
    »Entschuldige. Ja, wie gesagt habe ich diese Sendung gesehen, und mir ist schon klar, dass du ziemlich viele Ohrfeigen deshalb gekriegt hast.«
    »Das kann man wohl sagen, ja.«
    »Deshalb habe ich gedacht, dass du wissen solltest, dass es Menschen gibt, die dich immer noch mögen. Ohne Vorbehalt.«
    »Danke, aber …«
    »Und dann habe ich gehört, dass du heimfahren wirst. Dein Vater und deine Schwester haben ja Geburtstag. Dein Vater war sogar mein Klassenlehrer. Deshalb habe ich gedacht, wenn du ein paar Tage hier im Ort bist …«
    »Hm«, sagte Walter.
    »Ja, es ist ja nur ein Vorschlag. Aber ich habe seit einem halben Jahr keine feste Beziehung mehr. Ich hätte Lust, mir mit dir eine Flasche Wein zu teilen und über alles Mögliche zu quatschen. Ich wohne in der Fabriksgatan, wenn du dich noch daran erinnerst, wo die liegt?«
    »Ich denke schon«, sagte Walter.
    »Keine Kinder, nicht einmal eine Katze. Soll ich dir nicht meine Telefonnummer geben, dann kannst du mich anrufen, wenn du Lust hast? Vielleicht wäre es ja ganz schön, mal eine Weile der Familie entfliehen zu können?«
    »Warte, ich hole einen Stift«, sagte Walter Hermansson.
     
    Sie hieß mit Nachnamen Andersson, wie sie verriet, bevor sie das Gespräch beendeten.
    Jeanette Andersson?
    Nein, er konnte sie unmöglich aus der Erinnerung hervorfischen. Wenn er ein Klassenfoto hätte anschauen können, würde er sie womöglich wiedererkennen, aber er hatte keine alten Schuljahrbücher. Walter Hermansson gehörte nicht zu der Sorte Mensch, die solche Reliquien aufbewahren.
    Aber als seine Mutter ein paar Abende später anrief und wieder davon anfing, dass er unbedingt zum 105-Jahrestag kommen müsse, da war Jeanette Andersson das Zünglein an der Waage. Das musste er zugeben.
    Aber nur heimlich, nur sich selbst gegenüber. Vielleicht war es genau so, wie sie es sich ausgerechnet hatte. Er würde der Versuchung nicht widerstehen können, eine unbekannte Frau aufzusuchen, an ihrer Tür zu klingeln und hereingelassen zu werden.
    Aber natürlich, liebes Mütterchen. Ich werde kommen.
    Reifen mit Spikes? Walter Hermansson?
     
    Die Jahre in Australien waren gut und schlecht gewesen. In der ersten Saison war er die Ostküste rauf und runter gefahren und hatte in zahllosen Touristenattraktionen gearbeitet. Als Kellner, Koch, am Empfang, als Steward, Tierpfleger (sieben Pandas, die achtzehn Stunden am Tag schliefen, und die übrigen sechs fraßen und schissen). Byron Bay. Noosa Head. Arlie Beach. Bowlingbahnleiter in Melbourne. In keinem Job blieb er länger als ein paar Wochen. Die Jahrtausendwende feierte er in einem irischen Pub in Sydney, und in Sydney lernte er auch Paula kennen und ging mit ihr
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