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Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Titel: Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
Autoren: Håkan Nesser
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zum Schulabschluss einige Jahre vorher vorgelegt hatte, aber das hatte auch niemand von ihm erwartet. Er war im gleichen Herbst zum Militärdienst eingerückt, war zehn Monate lang bis zum Panzerschützengruppenleiter in Strängnäs geschmiedet und gehärtet worden. Jeden einzelnen Tag Dienst hatte er verabscheut. Jede Minute. 1989 war er nach Lund gezogen und hatte sein Studium begonnen.
    Geisteswissenschaften. Der Vater hatte abgeraten, die große Schwester hatte abgeraten, aber er hatte darauf beharrt. Er lernte Madeleine kennen, sie war schön, mutig und stand auf seiner Seite. Sie studierten Philosophie und vögelten. Sie studierten Ideen-und Wissenschaftsgeschichte und vögelten. Tranken Rotwein, rauchten ein wenig Haschisch, studierten Literaturwissenschaft und vögelten. Versuchten es mit Amphetamin, hörten aber rechtzeitig damit auf, studierten Kunstgeschichte, vögelten, gaben zwei Gedichtsammlungen heraus (Walter) und bekamen eine zurückgeschickt (Madeleine). Studierten Filmwissenschaft, bekamen ein Romanmanuskript von 650 Seiten zurückgeschickt (Walter), vögelten, wurden schwanger (Madeleine), hörten auf, Haschisch zu rauchen, hatten aber dennoch im dritten Monat eine Fehlgeburt, bekamen a) Panikattacken (Madeleine) und b) genug von Walter (Madeleine), und zogen Hals über Kopf zurück zu den Eltern in Växjö (Madeleine). Saßen nur da und schauten zu, wie alles rundherum zusammenstürzte (Walter).
    Auf irgendeine Weise gelang es ihm, die Illusion aufrechtzuerhalten, er betriebe ernsthaft sein Studium, sowohl demstipendienvergebenden Amt als auch seiner Familie gegenüber. Aber mit Madeleines Aufbruch war damit endgültig Schluss. Er war vierundzwanzig Jahre alt, befand sich meilenweit von irgendeinem Abschlussexamen entfernt, hatte Stipendienschulden von 350 000 Kronen und schlechte Alkoholgewohnheiten. Seine schöne, mutige Freundin hatte ihn im Stich gelassen, und von seinen beiden hochgelobten Gedichtsammlungen waren insgesamt einhundertundzwölf Exemplare verkauft worden. Es war höchste Zeit, dass die Familie intervenierte.
    Zum Herbst 1994 war alles geklärt (abgesehen von den Stipendiumsschulden, die ihn wahrscheinlich bis ins Grab verfolgen würden). Mit Hilfe des kooperativen Langweilers von einem Ehemann seiner großen Schwester oben in Medelpad wurde ein verhältnismäßig gut entlohnter Job in einem Bezirksbüro in Jönköping herbeigezaubert. Büroarbeit und drei, vier Reisen im Monat zu verschiedenen Konsumgeschäften im nördlichen Småland und in Västergötland. Walter beugte sich und akzeptierte. Er gab klein bei, schickte seine Künstlerseele ins innere Exil, es war keine Frage des freien Willens. In der ersten Septemberwoche zog er in eine Dreizimmerwohnung mit einem akzeptablen Blick über den Vätternsee, und am dritten Samstagabend in der dritten (und letzten) Kneipe im Ort lernte er Seikka kennen. Sie arbeitete im Kindergarten und besuchte nach Feierabend verschiedene Abendkurse bei den unterschiedlichsten Institutionen. Diverse Kreativitätsangebote, von Aromatherapie bis hin zu feministischem Skizzenzeichnen und transzendentaler Selbstverteidigung. Sie zogen im Dezember zusammen, und im November 1995 wurde ihre Tochter Lena-Sofie geboren. Ungefähr zur selben Zeit begann Walter zu laufen, das tat er, um nicht von einem inneren Druck auseinandergerissen zu werden. Anfangs zehn, zwölf Kilometer jeden Abend, dann immer längere Strecken. 1996 nahm er an drei Marathonläufen mit Zeiten unter zwei Stunden fünfzig teil (bis auf den letzten, bei dem er gezwungen war, aufgrund akuter Magenprobleme zwei Kilometer vor dem Ziel abzubrechen, aber alles deutete auf ungefähr zwei Stunden sechsundvierzig hin). Er trat in den Sportverein Vindarnas IF ein und stellte fest, dass er tatsächlich ein Talent für Langstrecken hatte. Seine ersten fünf Kilometer lief er in einem reinen Vereinswettkampf und gewann dreihundert Meter vor dem Zweiten. Er nahm brieflich Kontakt zu einem bekannten Sportphysiologen auf, der ihm erklärte, dass Langstreckenläufer häufig ihre Spitzenleistungen erst nach ihrem dreißigsten Geburtstag erreichten und man mit dem richtigen Training problemlos bis zu einem Alter von fünfundzwanzig warten könne. Walter war sechsundzwanzig, er erinnerte an Evy Palm.
    Die folgenden drei Saisons wurden seine große Zeit. 1997 wurde er Bezirksmeister sowohl über fünf-als auch über zehntausend Meter, aber erst, als er sich ohne vorheriges technisches Training zu einem
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