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Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Titel: Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
Autoren: Håkan Nesser
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den Tisch zurück.
    Dort blieben sie noch eine Weile schweigend sitzen, und langsam wurde ihm klar, dass sie gar nicht daran dachte, ihn in den Arm zu nehmen.
    »Ich möchte, dass du das Papa auch erzählst, Kristoffer«, sagte sie. »Und außerdem möchte ich wissen, ob du uns in Zukunft weiterhin anlügen willst oder ob wir dir vertrauen können. Vielleicht hast du ja vor, auch weiterhin bei den Zwillingen Pettersson ein und aus zu gehen? Wir sind zwar deine Familie, Papa, ich und Henrik, aber wenn du lieber …«
    »Nein, ich …«, unterbrach er sie, aber sie unterbrach ihn gleich wieder.
    »Jetzt nicht«, sagte sie. »Es ist ein wichtiger Entschluss, welche Bahn du einschlägst, die der Wahrheit oder die der Lüge. Am besten, du denkst ein paar Tage darüber nach.«
    Anschließend stand sie auf und ließ ihn allein.
    Nein, dachte er, sie hat mich ja nie in den Arm genommen. Mir nicht einmal mit der Hand über den Rücken gestrichen.
    Und eine Art Schweigen, das er als ebenso neu wie auch lähmend empfand, breitete sich in ihm aus. Er wartete eine Minute lang, dann lief er aus der Küche, die Treppe hinauf, in sein Zimmer. Er hörte, wie Henrik auf der anderen Seite der dünnen Wand aufwachte, warf sich aufs Bett und schickte ein wortloses Gebet gen Himmel, dass sein großer Bruder doch erst in die Dusche gehen sollte, bevor er ihn begrüßte.
    Das Beste wäre wohl, wenn sie mich umtauschten, dachte Kristoffer Grundt. Ja, sie hätten mich schon vor langer Zeit gegen einen anderen austauschen sollen.
     
    Leif Grundt umarmte seinen Sohn halbherzig, nach dem kurzen Gespräch, das er mit ihm geführt hatte, bevor sie sich abends zu Tisch begaben, und er stellte wieder einmal fest, dass er und seine Ehefrau grundverschieden waren.
    Gelinde gesagt. Ebba war eine Persönlichkeit und ein Rätsel, genau so definierte er sie gern, und zwar ein Rätsel, das zu lösen er schon vor langer Zeit aufgegeben hatte. Was Kristoffers Alkohol-und Rauchdebüt betraf – wenn denn hier wirklich die Rede von einem Debüt sein konnte, wie sein Sohn hartnäckig behauptete -, dann war für seine Ehefrau die Lüge das Wichtige daran gewesen. Die Enttäuschung, dass er nicht die Wahrheit gesagt hatte, der bewusste Bruch einer Übereinkunft.
    Was ihn selbst betraf, so dachte Leif genau entgegengesetzt. Wenn der Junge rauchen und saufen wollte, dann konnte er ja wohl bei allen göttlichen Mächten seinen Eltern davon vorher nichts erzählen, oder? Auf lange Sicht konnte er vom Schnaps eine Schrumpfleber und von den Zigaretten Lungenkrebs bekommen, aber an einer kleinen Lüge war ja wohl noch nie jemand gestorben, oder?
    Lieber ein nüchterner Lügner als ein ehrlicher Junkie, dachte Leif Grundt. Wenn man sich eine Zukunft für seine Kinder überhaupt aussuchen könnte – eine Möglichkeit, von der er nicht eine Sekunde lang geglaubt hatte, dass sie in seinen Machtbereich fallen könnte.
    Obwohl er selbst ein leicht dubioses Verhältnis zur Lüge hatte, das ließ sich nicht leugnen. Es war zwar etwas an den Haaren herbeigezogen, aber man könnte behaupten – was ihm natürlich niemals in den Sinn gekommen wäre, und schon gar nicht vor seiner Ehefrau -, dass die Existenz der gesamten Familie Grundt auf einer Lüge basierte. Tatsächlich bildete ein grober, herrlicher Bluff das Fundament, dem die Jungen zu danken hatten, dass sie überhaupt geboren worden waren.
    Hätte Leif Grundt sich an die Wahrheit gehalten, er hätte ihrer Mutter nie an die Wäsche gehen können. Oh nein. Dass Ebba Hermansson sich ihre gehütete Unschuld von einem Schlachter vom Konsum rauben lassen sollte, war ein Gedanke, so undenkbar wie... als wenn Leifs stotternder Halbbruder Henry es schaffen würde, Pamela Anderson zu heiraten. Leif wusste es, und Ebba wusste es, und Leif wusste außerdem ganz genau, dass sie niemals dieses psychologische Faktum zugeben würde, und wenn man sie vor ein Exekutionskommando stellte. Als er sich dafür entschied, als Jurastudent Leif von Grundt auf dem Frühlingsball der Östgötaer Verbindung an der Uni Uppsala 1985 aufzutreten (wohin er mittels eines gefälschten Studentenausweises gelangt war), war es gerade diese geliehene Identität – und nicht sein höchst prosaischer Konsumschwanz -, die sie gegen zwei Uhr nachts dazu brachte, ihm auf ihre jungfräulichen Feuchtwiesen Zutritt zu gewähren. Das, und nichts anderes.
    »Du hast gelogen«, stellte sie zwei Monate später fest, als die Schwangerschaft nicht mehr zu leugnen
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