Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945
Autoren: Leni Riefenstahl
Vom Netzwerk:
wir aus dem Schlaf geweckt. Wir hörten kreischende Autoreifen, plötzlich verstummende Motoren, Kommandorufe, Krach, Lärm und ein Hämmern gegen die Fensterläden. Dann wurde die Tür aufgebrochen. Amerikaner mit Gewehren standen vor dem Bett und leuchteten uns an. Keiner von ihnen sprach deutsch. Ihre Gesten sagten: Anziehen, sofort mitkommen.
      Meine vierte Verhaftung, aber diesmal war mein Mann dabei. Ich lernte die Sieger nun von einer anderen Seite kennen. Das waren nicht die lässigen, schlaksigen GI’S, sondern Soldaten, die hart zugriffen. Mit einem Jeep brachten sie uns hinunter nach Kitzbühel, wo wir in einem Haus, in dem sich schon mehrere Personen befanden, untergebracht wurden. Da Peter bei mir war, blieb ich ruhig und hielt seine Hand fest.
      In einem Zimmer konnten wir mit vielen anderen auf dem Fußboden schlafen.
      Am nächsten Morgen wurde uns ein Frühstück vorgesetzt. Ham and eggs, Schinken und Spiegeleier. So etwas Gutes hatten wir schon lange nicht mehr gegessen. Nichts von dem geschah, was ich befürchtet hatte. Keine Verhöre. Wir wurden so plötzlich wieder freigelassen, wie wir über Nacht festgenommen worden waren. «You may go», sagte einer der Posten, der uns noch ein paar Stunden zuvor so grob herumgestoßen hatte. Er machte eine Bewegung mit dem Daumen, zwei-, dreimal, weil wir ihn nicht verstanden und es nicht glauben konnten. Dann gingen wir, diesmal zu Fuß, zurück zum Gutshof.
      Wieder schloß meine Mutter mich in ihre Arme, sie fragte nicht und wir redeten nicht. Wir waren zu müde. Am nächsten Tag spürte ich neue Unruhe und Angst in mir aufsteigen. Jeden Augenblick glaubte ich kreischende Jeeps zu hören. Doch nichts geschah.
      Mein Mann erzählte mir, noch nach dem Tod Hitlers hätten sie bei Regensburg kämpfen müssen. Als einer der ganz wenigen Überlebenden seiner Einheit geriet er in amerikanische Gefangenschaft, fast alle seine Kameraden waren gefallen. Er sprach darüber ohne Gefühlsduselei - Peter neigte dazu zu untertreiben. Er war, was man beim Militär eine Landsknechtnatur nannte, ein Offizier, den seine Soldaten schätzten. Seine gelassene Haltung übertrug sich in diesen Tagen auf uns alle, besonders auf mich. Wir warteten, was die Zukunft bringen würde. Ab und zu kam Major Medenbach herauf und brachte uns Dinge, über die wir uns freuten: Apfelsinen, Schokolade, Kekse.
      Aber dann hielt ein Jeep mit zwei Amerikanern in Uniform vor unserer Haustür. Ich wurde wieder verhaftet, diesmal war Peter nicht bei mir. Man forderte mich auf, noch ein paar Kleinigkeiten zusammenzupacken, ein Stück Seife, Waschlappen, Zahnbürste und Kamm. Verzweifelt suchten meine Augen nach meinem Mann, aber Peter war irgendwo mit Medenbach unterwegs. Ich konnte mich nicht mehr von ihm verabschieden. Meine arme Mutter, wieder wußte sie nicht, wann sie mich wiedersehen würde.
      Der Jeep raste über die Landstraßen. Wenige Stunden später, es war schon fast dunkel, wurde ich in das Salzburger Gefängnis eingeliefert. Eine ältere Gefängniswärterin beförderte mich mit einem Fußtritt so unsanft in eine Zelle, daß ich zu Boden fiel. Dann wurde die Tür zugesperrt. In dem dunklen, vergitterten Raum befanden sich zwei Frauen. Eine von ihnen rutschte mit ihren Knien auf dem Fußboden und sprach verwirrtes Zeug, dann fing sie zu schreien an, ihre Glieder zuckten hysterisch, sie schien den Verstand verloren zu haben. Die andere Frau hockte auf ihrer Pritsche und weinte still vor sich hin.
      Zum ersten Mal befand ich mich in einer Zelle - ein unerträgliches Gefühl. Ich trommelte mit den Fäusten gegen die Tür und steigerte mich in eine solche Verzweiflung hinein, daß ich mich mit voller Wucht gegen die Tür warf, bis ich erschöpft zusammenbrach. Mir erschien Freiheitsberaubung schlimmer als Todesstrafe. Einen längeren Freiheitsentzug glaubte ich nicht überleben zu können.
      Stundenlang wälzte ich mich auf der Pritsche. Ich versuchte, was um mich war, zu vergessen, es gelang mir nicht. Die Geisteskranke schrie weiter, die ganze Nacht hindurch. Aber schlimmer noch waren gellende Männerschreie, die vom Hof herkamen, Männer, die geschlagen wurden, Schreie wie von Tieren. In dieser Nacht wurde, wie ich später erfuhr, eine Kompanie SS-Leute verhört.
      Am nächsten Morgen holte man mich ab. Ich wurde in eine Gummizelle gebracht. Vorher mußte ich mich nackt ausziehen, und eine Frau untersuchte mich an jeder Körperstelle. Dann mußte ich mich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher