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Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945
Autoren: Leni Riefenstahl
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«Hans, Hans!» Keine Antwort. Ich rannte durch verschiedene Zimmer, öffnete jede Tür. Ich vermutete ein Mißverständnis und beschloß, trotz des Widerstands des Gastwirts zu warten und mich nicht verjagen zu lassen.
      Da entdeckte ich sie, im letzten Raum - in der Küche. In der Mitte stand Gisela, wie eine Furie schrie sie: «Du hier? Bist du verrückt? Hast du wirklich geglaubt, daß du hier bei uns bleiben könntest?» Ich fand keine Worte und sah nur hilflos auf Hans, der in einer Ecke am Boden hockte und seinen Kopf in den Armen verbarg. Er wagte nicht, mich anzuschauen. Das sollte der Mann sein, mit dem ich vier Jahre lang glücklich zusammengelebt hatte und der im Ersten Weltkrieg bei den Gebirgskämpfen in den Dolomiten einer der Tapfersten war? Der auch nach unserer Trennung mein Freund blieb und begeistert mit mir am «Blauen Licht» gearbeitet hatte? Er sagte nichts.
      «Hans!» rief ich, «hilf mir!»
      Gisela stellte sich wie schützend vor ihn und brüllte mich an: «Du glaubtest, daß wir dir helfen? Du Nazihure!»
      Sie ist verrückt geworden, dachte ich und schrie nun auch: «Hans, sag doch ein Wort! Vor ein paar Tagen habe ich euch das Leben gerettet, ich wollte nicht herkommen, dein Weib hat mich hierher gelockt...» Hans zitterte vor Erregung, aber er sagte kein Wort, nicht eines.
      Da bin ich gegangen. Ich brachte kein Wort mehr heraus. So etwas hatte ich noch nie in meinem Leben mitgemacht. Die Szene hatte mich angewidert, angeekelt. Ich ließ mein Gepäck stehen und ging hinaus. Eine Welt brach in mir zusammen. Draußen war es totenstill. Langsam ging ich bergab. Der Bauer, der mich heraufgebracht hatte, war längst wieder fort. Ich suchte ein anderes Gasthaus, irgendeine Unterkunft zum Schlafen. Nach wenigen Minuten fand ich eine Pension. «Wir sind besetzt.» Ich klopfte an einem weiteren Haus, die gleiche Frage, dieselbe Antwort, eine dritte Tür, wieder das gleiche.
      Ich ging weiter bergab. Vielleicht finde ich eine Scheune, dachte ich, nur nicht im Freien einschlafen. Bei meinem Krankheitszustand mußte ich mich vor Kälte hüten, ich mußte laufen, soweit ich nur konnte.

    Da kam plötzlich ein Mann auf mich zu. «Frau Riefenstahl?»
    Ich sagte nur: «Ja?»
      «Ich weiß nicht, ob Sie sich an mich erinnern, aber ich kenne Sie, ich habe einmal für Sie gearbeitet und habe gehört, daß Sie eine Unterkunft suchen, kommen Sie, ich helfe Ihnen!» Er nahm mich bei der Hand und sagte, er habe ein kleines Zimmer, das ich haben könnte, er würde schon anderswo unterkommen.
      Dann sprach er mit dem Wirt. Für eine Nacht durfte ich bleiben.

    Die ersten Verhaftungen

    A m nächsten Morgen ging ich zurück ins Tal, nach Mayerhofen. Ich hatte nur ein kleines Schminkköfferchen mit Medikamenten und etwas Geld bei mir, die großen Gepäckstücke mußte ich vorläufig bei Schneebergers stehen lassen. Darin befanden sich die Originalnegative meiner Olympiafilme, aber in meinem damaligen Zustand verlor für mich das alles an Bedeutung. Ich hatte nur den einen Wunsch, zu meiner Mutter zurückzugehen.
      Unterwegs konnte ich mich auf einen Bauernwagen setzen, der mit Männern in Zivil voll beladen war. Nach ungefähr einer Stunde wurden wir angehalten. Es waren Amerikaner. «Ausweise zeigen!» Auch ich zeigte meinen. Wir mußten alle aussteigen und mit ihnen gehen. Man brachte uns in ein Lager, das sie ein paar Kilometer weiter auf freiem Feld eingerichtet hatten - wir waren verhaftet.
      Die ersten, die mir im Lager halfen, waren Kommunisten, Österreicher aus Wien. Sie hatten mich erkannt und waren sehr freundlich zu mir. Ich atmete auf und war dankbar, als sie mir etwas Eßbares gaben. Langsam kehrten meine Lebensgeister zurück. Ich fühlte mich nicht mehr so einsam, wir sprachen miteinander, wie vernünftige Menschen, ohne Haß und Ressentiments. Sie sorgten für mich, indem sie mich mit dem Lagerleben vertraut machten, mir sagten, wo man etwas bekommen konnte und was man besser unterließ. Sie zeigten mir in der Umzäunung eine Lücke, die sie selber, da sie genügend zu essen bekamen, gar nicht so interessierte. Wohl aber mich. Bereits am nächsten Morgen war ich weg. Es war mein erster Ausbruch. Aber meine Freiheit dauerte nur wenige Stunden. Dann lief ich den Amerikanern wieder in die Arme. Sie sperrten mich, ohne mich zu erkennen, in ein anderes Lager. Da dies auch schlecht bewacht war, brach ich wieder aus: Meine zweite Flucht.
      Die dritte Gefangenschaft
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