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Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945
Autoren: Leni Riefenstahl
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wieder anziehen und auf den Hof hinuntergehen. Dort standen viele Männer, anscheinend Gefangene. Ich war die einzige Frau. Wir mußten uns in einer Reihe aufstellen. Ein amerikanischer Bewacher, der deutsch sprach, kommandierte. Die Gefangenen nahmen Haltung an, ich bemühte mich, das gleiche zu tun. Dann kam ein Amerikaner, der perfekt deutsch sprach. Er stauchte einige Leute zusammen, dann blieb er vor dem ersten in unserer Reihe stehen: «Warst du in der Partei?»
      Dieser zögerte einen Moment, dann «Ja».
      Er bekam einen Boxhieb ins Gesicht, er spuckte Blut.
      Der Amerikaner ging weiter zum nächsten.
      «Warst du in der Partei?» Der zögerte auch.
      «Ja oder nein?»
      «Ja», und auch er bekam einen Schlag ins Gesicht, daß ihm Blut aus dem Mund lief. Doch er wagte ebensowenig wie der erste, sich zu wehren. Die beiden hoben noch nicht einmal instinktiv die Hände, um sich zu schützen. Sie taten nichts. Sie steckten die Hiebe ein wie Hunde.
      Frage an den Nächsten: «Warst du in der Partei?» Erst Schweigen.
      «Na?»
      «Nein», brüllte er laut. Keine Hiebe. Von da an sagte keiner mehr, er sei in der Partei gewesen. Ich wurde nicht gefragt.
      Die Männer wurden abgeführt, ich mußte warten. Da kam ein Offizier auf mich zu, reich dekoriert. Er schaute mich an, nahm meinen Kopf in seine Hände, küßte mich auf die Stirn und sagte: «Bleib tapfer Mädchen, du wirst siegen.»
      Verwirrt sah ich den Offizier an. Er war nicht mehr jung, hatte graumelierte Schläfen, sein Blick war ernst und gütig. «Gib nicht
    auf», sagte er noch, «halte durch.»
      Anschließend wurde ich mit den Männern auf schwere, offene Lastwagen verladen, auf denen Geschütze standen. Niemand wußte, wohin wir gebracht werden sollten.

    Im amerikanischen Hauptquartier

    S tundenlang fuhren wir über Landstraßen und Autobahnen Richtung Norden. Als wir ausgeladen wurden, befanden wir uns in einem ausgedehnten Lager - ein großer Platz, von einstöckigen Siedlungshäusern umgeben. Das schien kein Gefängnis zu sein. Es war, wie ich später erfuhr, das Hauptquartier und Gefangenenlager der 7. Amerikanischen Armee.
      Bevor wir einquartiert wurden, mußten wir in einer Baracke unsere Personalien angeben. Dann führten mich die Amerikaner in eines der kleinen Häuser, wo ich im Erdgeschoß in einem Zimmer mit drei anderen Frauen untergebracht wurde. Wir machten uns bekannt. Die älteste war Johanna Wolf, erste Sekretärin Hitlers. Ich kannte sie ebensowenig wie seine anderen Sekretärinnen. Das zweite Fräulein war eine Sekretärin des Wiener Gauleiters von Frauenfeld, die jüngste eine Deutschfranzösin aus dem Elsaß, die der Spionage verdächtigt wurde. Das Zimmer war mit vier Betten, Tisch, Stühlen und einer Lampe möbliert. Ich war angenehm überrascht, diese Umgebung hatte nichts von Gefängnisatmosphäre an sich.
      Am ersten Tag meiner Einlieferung geschah nichts. Ich war so erschöpft, daß ich, ohne mich auszuziehen, auf dem Bett einschlief. Am nächsten Morgen sah ich durch das Fenster viele Männer im Hof Spazierengehen. Unter ihnen erkannte ich Hermann Göring, den General der WaffenSS, Sepp Dietrich, den Reichsschatzmeister der NSDAP, Franz Xaver Schwarz, die Adjutanten Hitlers, Julius Schaub und Wilhelm Brückner, sowie einige Generäle.
      Über tausend Gefangene befanden sich in diesem Lager, genannt der «Bärenkeller». Besonders bekannte Persönlichkeiten waren hier inhaftiert. Wir vier Frauen waren vorläufig die einzigen weiblichen Insassen. Später machten wir auch in Gemeinschaft der Männer den Rundgang, der sich täglich nach einem genauen Zeitplan wiederholte.
      Nach zwei Tagen wurde ich zu meinem ersten Verhör abgeholt. In dem Raum hingen an den Wänden schreckliche Fotos. Abgemagerte Gestalten, die auf Pritschen lagen und hilflos aus riesigen Augen in die Kamera schauten, und solche, auf denen Berge von Leichen und Skeletten zu sehen waren. Ich schlug die Hände vor mein Gesicht es war zu grauenhaft.
      Der CIC-Offizier fragte: «Wissen Sie, was das ist?»
      «Nein.»
      «Nie gesehen?»
      «Nein.»
      «Und Sie wissen nicht, was das ist? Das sind Fotos aus Konzentrationslagern. Sie haben nie etwas von Buchenwald gehört?»
      «Nein.»
      «Auch nichts von Dachau?»
      «Doch, von Dachau habe ich gehört. Es soll ein Lager für politische Gefangene, Landesverräter und Spione gewesen sein.»
      Der Offizier sah mich durchdringend an. «Und
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