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Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945
Autoren: Leni Riefenstahl
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wertvollen Sachen mitzubringen Kleider, Pelze und vor allem deine Filme, die mußt du doch retten.»
      Die Sorge, daß meinen Mitarbeitern meine Anwesenheit schaden könnte, trug dazu bei, daß ich Giselas Rat befolgte. Adolf Galland, der Jagdfliegergeneral, den ich persönlich nicht kannte, gab uns noch zwanzig Liter Benzin, damals eine unvorstellbare Kostbarkeit. Vor meiner Abreise veranlaßte ich noch, daß der geniale, aber kranke Willy Zielke, der, nachdem ich ihn aus Haar geholt hatte, mit seiner Betreuerin und späteren Frau bei mir in Kitzbühel lebte, in Sicherheit gebracht wurde. Sie bekamen Lebensmittel und Geld und sollten versuchen, bei Zielkes Mutter Unterkunft zu finden. Als ich mich von meiner Mutter und meinen Mitarbeitern verabschiedete, wußten wir nicht, ob und wann wir uns wiedersehen würden. Die Atmosphäre war gespenstisch.
      Wie in einer Vision hatte ich in dieser Nacht einen sonderbaren Traum. In einer kleinen deutschen Stadt sah ich in einer langen schmalen Gasse viele Hakenkreuzfahnen aus den Häusern hängen. Ihre blutrote Farbe wurde langsam immer heller, bis alle Fahnen weiß geworden waren.
      Als ich in Mayerhofen, einem kleinen Ort in Tirol, ankam, stieß ich dort auf ein Filmteam der «UFA» mit Maria Koppenhöfer und dem Regisseur Harald Braun. Noch in diesen letzten Kriegstagen
    wurde an Filmen gearbeitet. Eine groteske Situation!
      Mayerhofen war überfüllt von deutschen Soldaten, die, von der italienischen Front kommend, durch die Straßen zogen. Erschöpft und todmüde warf ich mich in dem kleinen Hotelzimmer auf das Bett. Da stand Gisela Schneeberger plötzlich vor mir. Unfreundlich sagte sie: «Na, bist du doch gekommen?» Auf meine Koffer und Kisten deutend: «Ist das dein ganzes Gepäck?»
      Erstaunt über ihr verändertes Wesen wollte ich sie zur Rede stellen, als unter uns in der Gaststube plötzlich gewaltiger Lärm ausbrach. Gisela lief hinunter. Nach einem kurzen Augenblick kehrte sie zurück, führte einen Freudentanz auf und rief: «Hitler ist tot - er ist tot!»
      Nun war eingetreten, was wir schon lange erwartet hatten. Was ich in diesem Augenblick empfand, kann ich nicht beschreiben. Ein Chaos von Gefühlen tobte in mir- ich warf mich auf mein Bett und weinte die ganze Nacht.
      Als ich am Morgen erwachte, war ich allein. Der Wirt sagte, Frau Schneeberger sei abgereist. Sie wäre noch am Abend mit einem Bauernwagen aufs Tuxer Joch gefahren. Eine Nachricht für mich hatte sie nicht hinterlassen. Ich stand vor einem Rätsel: Sie hatte mich überredet, Kitzbühel zu verlassen und mit ihr zu kommen. Ein ungutes Gefühl sagte mir, daß hier etwas nicht stimmen konnte. Was aber sollte sich geändert haben?
      Hans und Gisela gehörten zu meinen engsten Freunden, sie waren sogar zu meiner Trauung nach Kitzbühel gekommen und hatten dort als meine Gäste eine Woche im Haus Seebichl gewohnt. Auch hatte ich beiden geholfen, Hans den Volkssturm erspart und Gisela aus dem Innsbrucker Gefängnis herausgeholt. Was sollte ich tun? Hierbleiben konnte ich nicht. Jeder Raum im Gasthof war belegt, und es war aussichtslos, in Mayerhofen ein Zimmer zu bekommen. Zurück nach Kitzbühel konnte ich auch nicht. Mein Benzin war zu Ende, und zu Fuß war die Strecke kaum zu schaffen, die Entfernung betrug
    110 Kilometer. Ich hatte keine Wahl, ich mußte hinauf aufs Tuxer Joch.
      Am späten Nachmittag hatte ich einen Bauern gefunden, der mich mit einem kleinen Heuwagen hinaufbrachte. Es war schon dunkel, als ich herzklopfend vor der Tür eines kahlen Gebäudes stand. Auf einem hell gestrichenen Holzschild las ich «Gasthof zum Lamm». Ehe ich läutete, atmete ich tief. Niemand meldete sich. Die Tür war verschlossen. Ich läutete noch einmal, dieses Mal länger. Ein eisiger Wind wehte, und ich zitterte vor Kälte. Es kam niemand. In meiner Verzweiflung hämmerte ich mit den Fäusten gegen die Tür. Endlich wurde sie geöffnet. Ein älterer Mann sah mich unfreundlich und mißtrauisch an.
      «Ich bin Frau Riefenstahl», sagte ich, «Herr Schneeberger hat mich gebeten, hierherzukommen.» Er musterte mich und sagte barsch: «Mein Haus betreten Sie nicht!»
      «Sie sind doch der Vetter von Hans?» fragte ich erschrocken, «ich soll ein paar Wochen bei Ihnen wohnen.»
      «Tut mir leid», sagte er, «Sie betreten mein Haus nicht - Hans wußte nicht, daß ich keine Nazis aufnehme.»
      Da verlor ich die Fassung, stieß ihn beiseite, lief in das Haus und rief:
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