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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
Autoren: Wibke Bruhns
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eine Trompete pfeift das Ganze an, und es beginnt ein mörderisches Hauen und Stechen, bis abends reitende Boten mit weißen Fahnen auftauchen, und der Spuk ist vorüber. Ein Tag. Das war’s. So jedenfalls sah »die größte Schlacht des Jahrhunderts«, wie sie seither genannt wurde, auf Liebigs Fleischextrakt-Bildern aus.
    Bei I. G. Klamroth herrschte helle Aufregung. Das Königreich Hannover kämpfte an der Seite Österreichs gegen Preußen, und zwischen dem preußischen Halberstadt und dem hannoverschen Nienburg ging gar nichts mehr. Banken kündigten Kredite, Importe aus England hingen auf der Weser fest, hannoversche Eisenbahnwaggons kamen nicht mehr über die Grenze, die von Halberstädter Kürassieren argwöhnisch bewacht wurde. Louis und der junge Gustav gingen mit sorgenvollen Mienen umher, während im Woorthaus Päckchen für Böhmen gepackt und »Charpie« gezupft wurde, zerrupftes Leinzeug, das als Verbandsmull diente. Doch Hannover wurde von Preußen geschluckt, und ziemlich bald war wieder jedermann jedermanns Freund.
    Es entstand Bismarcks Norddeutscher Bund, Zoll- und Mautlinien fielen – ein Segen fürs Geschäft. Gustav nutzte, was immer sich nutzen ließ: Es wurden Dampf-Pflüge angeschafft, es gab einen Dampf-Drescher, Ehefrau Anna bekam, lange bevor eine Industrie daraus wurde, eine mechanische Nähmaschine. Aber Gustav nutzte auch anderen: 1867 wurde er Stadtverordneter und blieb das bis 1904. Er betrieb die Gründung der Handelskammer Halberstadt, deren zweiter Präsident er war. Im Provinzial-Landtag und im Provinzialrat vertrat er die Belange Halberstadts, und er war aktives Mitglied der »Nationalliberalen Partei«, jahrelang eine der parlamentarischen Stützen Bismarcks.
    Gustav spendierte der reformierten Liebfrauenkirche in Halberstadt bemalte Fenster und dem Königlichen Dom-Gymnasium ein überaus prächtiges Banner. Er kaufte repräsentative Grundstücke für einen Neubau der kaiserlichen Post, schenkte dem späteren Cecilienstift ein Erholungsheim und dem Kleinkinderschulverein sein Schulgebäude. Er war im Vorstand des »Vaterländischen Frauenvereins« – was er da wohl gemacht hat? –, des Vereins »Herberge zur Heimat« – was mag das gewesen sein? – und des Halberstädter Kunstvereins. Zum 100jährigen Jubiläum der Firma 1890 bekam die Stadt 30 000 Mark zur Gründung einer »Klamroth-Säcular-Stiftung« zugunsten verarmter Kaufleute und Gustav nun auch den Titel »Königlicher Kommerzienrath«.
    Er war ein grundgütiger Mann. Selbst auf den späten Patriarchen-Fotos um die Jahrhundertwende ist diese Wärme zu spüren, in die seine Frau und die fünf überlebenden Kinder eingebettet waren. In Gustavs Buchführung tauchen immer wieder Sonderzuwendungen für die Mitarbeiter der Firma und das Hauspersonal auf, Geschenke, Belohnungen. Gustav war fürsorglich. Ständig war irgend jemand krank in der großen Familie, und Frau Anna beschreibt, wie der Mann mit Kleinkindern auf dem Arm tröstend durchs nächtliche Haus wandert. Zwei Söhne sind sehr jung gestorben, in Gustavs Haushaltsbuch habe ich für 1868 unter der Rubrik »Außerdem« 2 Taler 15 Silbergroschen für einen Kindersarg gefunden. Das Grabkreuz für Johannes Gottfried kostete 25 Taler. Gustavs Frau Anna schrieb ihrem Sohn auf eben dieses Kreuz:
    Kurz war dein Lauf hinieden,
Doch reich an Qual und Schmerz,
Ruh aus in Gottes Frieden,
Du armes kleines Herz.
    Anna war tief religiös, dabei trotz der Trauer um die toten Söhne und eigener schwerer Krankheiten von großer Heiterkeit. Zauberhafte Kindergeschichten hat sie verfaßt in ihrer malerischen Schrift, vier geprägte Lederbändchen sind mir erhalten, darin auch Liebesgedichte an Gustav. Als sie mal wieder lebensbedrohlich krank ist, gesteht sie ihm Verzweiflungstränen zu für den Fall ihres Todes, bittet aber:
    Doch hast dem Schmerze du sein Recht gegeben,
so kehre wieder dich dem Leben zu,
den Kindern eine Mutter bald zu geben,
dir eine Frau zu wählen trachte du.
    Nicht einsam soll der Mensch auf Erden wandern,
ein treues Herz muß ihm zur Seite gehn,
es folgt ein Lenz zu seiner Zeit dem andern
und neues Liebesglück wird dir erstehn.
    Sie war gerade 50, als sie 1890 starb, und Gustav hat sie nicht ersetzt. Er lebte noch 15 Jahre allein, umsorgt und bewundert von seinen Kindern, den Freunden und Honoratioren der Stadt, ein kluger Mann und Mahner, der die Absetzung des »Friedenskanzlers« Bismarck durch Wilhelm II. mit Sorge sah. Die Reichsgründung 1871
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