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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
Autoren: Wibke Bruhns
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Fachwerk, Barock, schiefwinklige Ställe, Innenhöfe. 43 000 Einwohner hatte die Stadt um 1900, die Bilder signalisieren Wohlstand, vor allem: Emsigkeit. Geschäfte überall, Märkte, Markisen vor den Läden. Die Conditorei Kaiserhof am Fischmarkt bediente die Kundschaft unter Sonnenschirmen auf einer Terrasse im ersten Stock. Ab 1887 gab es eine Pferdebahn, abgelöst 1903 von der Elektrischen. Seit 1888 konnten die Halberstädter telefonieren. Karl der Große höchstselbst hatte im Jahr 804 das Bistum eingerichtet, noch heute fahre ich über das unglaublich platte Börde-Land auf Halberstadt zu und sehe von ganz weit her Kirchen, jede Menge Kirchen.
    Für mich ist Halberstadt Metapher. Halberstadt ist »früher«. Meine Erinnerung an die Stadt, in der ich geboren wurde, die Stadt meiner Kleinkind-Zeit, setzt ein am 8. April 1945, Sonntag nach Ostern, vormittags um 11 Uhr 25. Alliierte Bomber, 215 sollen es gewesen sein, legten 82 Prozent der Altstadt in Schutt und Asche. Da war ich sechs. Alles davor ist in meinem Gedächtnis verschüttet unter Trümmern, verbrannt in der tagelangen Feuersbrunst. Danach weiß ich von schwieriger Nachkriegszeit überall und nirgendwo – das war der Beginn dessen, was mein Leben wurde. Halberstadt gehört nicht dazu. Wann immer ich später dahin fuhr, war grauer, verfallender DDR-Alltag, aufgehellt durch familiäre Freunde, trotzdem fremd. Heute ist Halberstadt Vergnügen. Die Stadt rappelt sich, wie sie sich gerappelt hat nach den Zerstörungen durch Heinrich den Löwen, Bauernkrieg und Reformation, 30jährigem Krieg, Franzosenherrschaft und Kosakensturm.
    Irgendwann zwischendurch tauchten die Klamroths auf. »Denn als der Ahne aus den Wäldern kam nach Börnecke am Harz, schrumm schrumm«, sangen sie später auf den Familientagen. Der Ahne erschien um 1500. In der Folgezeit gab es in den Harz-Dörfern Klamroths als kursächsische Förster und Sattlermeister, Brauherren und immerhin schon einen Stadtdeputierten in Ermsleben. Spannend wurde es mit Johann Gottlieb. Der war gelernter Kaufmann, wanderte mit einem Zertifikat der »ehrsamen Kramer- und Leinwandsschneidergilde« von Quedlinburg nach Halberstadt und gründete »ebenda« 1790 die Firma I. G. Klamroth. Da war er 22; mit dem heute noch von uns allen verwendeten Familienwappen siegelte er erstmals 1788.
    Es gab für mich eine verläßliche Methode, Else in Empörung zu versetzen. Wie alle Angeheirateten war sie überzeugte Konvertitin: Die Ehre der Familie Klamroth war ihr heilig. Wenn ich diese Familie – gar nicht verkehrt – mit den Buddenbrooks verglich, schäumte Else. Beschrieb ich die Firma – diese Firma! – als einen Laden, der Hopfenstangen und Jute-Säcke vertrieb, gab es ernsthaft Krach. Dabei ist auch das nicht verkehrt.
    Johann Gottlieb betrieb eine »Material- und Viktualienhandlung«. So fing das an. Er hatte eine Frisur wie Napoleon – wie machten die das damals, lange bevor das Haarspray erfunden wurde? Sah der morgens, wenn er aus dem Bett kam, schon so aus wie auf seinem Ölbild? Wie oft wurden diese Spitzengewölle unterm Samtkragen gewaschen? Und trug er die auch schon im »Comptoir«? Nichts weiß man wirklich.
    Er hatte 1802 vernünftigerweise in einen florierenden Lederhandel eingeheiratet. Der Schwiegervater war gestorben, und Johann Gottlieb verlegte sein Geschäft in dessen Domizil an der Woort 3 – »brauberechtigtes Haus, worin 5 Stuben, 8 Kammern, 2 Alcofen, 1 Gips- und 2 Dielenboden und 2 gewölbte Keller, welches insgesamt zu 2011 Thaler 14 Gr. gerichtlich gewürdigt«. In den Trümmern dieser vielfach umgebauten, schließlich zerbombten Herrlichkeit hat die Firma noch nach dem Zweiten Weltkrieg vegetiert.
    Für Johann Gottlieb und seine quirlige Frau Johanne ging es ständig bergauf. Keine lähmenden Zunft- und Gildezwänge mehr, sondern Gewerbefreiheit. Bauernbefreiung 1807 durch Friedrich Wilhelm III. und seinen Freiherrn vom Stein. Heringsfässer und Pflanzhölzer waren irgendwie nicht mehr zeitgemäß. Jetzt wurde mit Erbsen und Weizen, mit Mohn und Hanf gehandelt, und zwar weit über Halberstadts Grenzen hinaus. Emsigkeit! Es ist ein Fest, den Spuren dieser altvorderen Unternehmer zu folgen, die jeden wirtschaftlichen Wandel virtuos abfederten, jede Innovation am Horizont rechtzeitig spürten und umsetzten.
    Sohn Louis trat 1828 mit 25 Jahren in Johann Gottliebs Firma ein. Er war häßlich wie die Nacht und ein begnadeter Kaufmann. Mit wechselnden Teilhabern und einem
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