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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
Autoren: Wibke Bruhns
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mein Führer – noch wünsche ich, vor Dir zu stehen, von Deinem Blick festgehalten, und dann befiehl mir, was Du willst, ich werde sterben für Dich.« Und dann: »Ich habe geglaubt und bin betrogen. Ich habe gearbeitet für den Teufel – ich habe geliebt, mein Führer! Zum ersten Mal spüre ich, daß ich hassen könnte … ein wilder Haß, der wildere Liebe war. Haß und Vernichtung dem, der uns vernichtet hat, und wenn ich sterben soll, so will ich sterben im Kampf gegen Dich! Mörder meines Vaters!«
    Wenn ich da das Pathos rausnehme und die hirnrissige Hingabe, mit der die Schwester nicht alleinstand, spüre ich dahinter nichts, was diese junge Frau hätte bewahren können vor dem Anheimfallen. Da steht sie 11jährig mit Freunden und Geschwistern rund um den Flügel im Oktober 1933. Der Vater haut in die Tasten, die Kinder recken strahlend die Arme zum Hitlergruß in die Luft. Die Mutter auch. »Wir singen Hitlerlieder mit Vater«, schreibt Else ins Kindertagebuch – sie konnte doch gar nicht singen, verdammt noch mal. Sie war die Krähe unter all den Lerchen in der Familie, die einzige, die nie den Ton traf.
    Ständig ist in diesen Tagebüchern die Rede von »hochpolitischen und erhebenden Zeiten«, von Hitlers »genialem Gespür« für den richtigen Zeitpunkt wofür auch immer. Hans Georg beschreibt mehrfach in seinen Sonntagsbriefen von der Ostfront, wie die Führer-Reden im Radio »Offiziere, Unteroffiziere und Männer« zusammenschweißen, auch wenn »in wirklich ekelhafter Nähe die schweren Brocken eines Feindfliegerangriffs niedergehen«. Draußen kracht die Welt in Trümmer, »aber alles übertönt die Stimme des Führers, der alle Männer unbeirrt und hingegeben lauschen«.
    Solche Briefe erreichen auch die Kinder – neun Durchschläge schafft die Schreibmaschine, jeder kriegt seinen eigenen, wöchentliche Bestärkung, daß rundum alles richtig und gut sei. Selbst meine nächstältere Schwester – bei Hans Georgs Tod gerade elf – ist einbezogen. Mitleid artikuliert sich noch 1947, als Else die Zeit seit dem Attentat für sie beschreibt: »Für Dich war es am schwersten, Ihr seid mit der Erziehung zur Liebe und Bewunderung für Hitler groß geworden, und Du liebtest Deinen Vater so sehr. Wie sollte das zusammenstimmen?« Ja, wie denn? Else erklärt es dem Kind mit einem vollbesetzten Zug, der auf einen Abgrund zurase. Die Männer des 20. Juli hätten in dem Anschlag ein Mittel gesehen, den Zug noch aufzuhalten. Für Außenstehende habe es so ausgesehen, als wollten sie den Absturz beschleunigen, deshalb hätten sie unehrenhaft sterben müssen. Die wahre Ehre aber liege in dem Versuch, die Katastrophe aufzuhalten, und die könne dem Vater keiner nehmen. Das Kind war getröstet – schreibt Else.
    Ehre. Unehrenhaft sterben. Die Katastrophe. Erst wir Nachkommen haben uns mit der Katastrophe herumgeschlagen, die unser Land anderen zugefügt hat. Für die Eltern war die Katastrophe der verlorene Krieg, die Zerschlagung Deutschlands und dessen, wofür es stand. Meine Schwester erzählte mir, wie Else nach dem Krieg von den Vernichtungslagern erfahren hat. Weiß wie die Wand habe sie in der Tür gestanden und gesagt: »Das wird man uns Deutschen nie verzeihen.« Uns Deutschen. Auschwitz – eine Hypothek. Kein Wort, nie, in all den Jahren nicht, über die Opfer.
    So komme ich nicht weiter. Wer bin ich denn, heute zu urteilen, wo es darum geht, Früheres zu begreifen? Hans Georg und Else haben bezahlt, jeder für sich. Ich habe da keine Rechnungen aufzumachen und muß meinen Hochmut zügeln. »Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut, in der wir untergegangen sind, gedenkt, wenn ihr von unseren Schwächen sprecht, auch der finsteren Zeit, der ihr entronnen seid«, mahnt Bertolt Brecht die Nachgeborenen. 60 Jahre später kann ich hier nicht sitzen ohne Erbarmen und »recht haben«. Mein Glück war die Zäsur. Ich habe angefangen, als alles aufgehört hatte. Was ist mit denen, die beides gelebt haben? Sollten sie, wie von DDR-Bürgern oft verlangt, die ersten 40 Jahre ihres Lebens für ungültig erklären? Immerzu Buße?
    Das kann es nicht sein. Verstehen will ich, wie entstanden ist, was meine, die Generation der Nachgeborenen so beschädigt hat. Dazu muß ich zurück in die Geschichte derer, die meine Geschichte geschrieben haben, zurück also zu den Altvorderen in der Familie. Ich muß nach Halberstadt.

    Vater und Sohn beim Morgenritt

E INS
    I CH KANN VERSINKEN IN DEN FRÜHEN F OTOS  –
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