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Meines Bruders Moerderin

Meines Bruders Moerderin

Titel: Meines Bruders Moerderin
Autoren: Irene Rodrian
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Verstand. Und mit ihrer schier unerschöpflichen Hilfsbereitschaft und Fürsorge.. »Aber er kann dich doch nicht einfach rausschmeißen!«
    »Nicht einfach, aber er kann, wenn ihm die Wohnung erst einmal gehört. Eigenbedarf. Er wohnt seit dem Tod der alten Señora schon drüben, seine Bude in Girona hat er sofort danach aufgegeben. Der weiß genau, was er will.«
    »Aber es gibt hier in Spanien doch einen sehr effektiven Mieterschutz. Und du bist Anwältin!« Anna fühlte so etwas wie Panik aufsteigen. Seit sie Dagmar und die anderen vier Llimonas kannte, seit die sie aufgenommen und vor Polly und Frank geschützt hatten, seit sie ein Teil von Llimona 5 war, hatte sie sich sicher gefühlt. Geborgen. Sie hasste Veränderungen. Sie hatte in ihrem Leben schon zu viele mitgemacht. Anna nahm einen rocca und biss hinein. Fs krümelte süß in ihrem Mund. Diese Wohnung gehörte einfach zu Dagmar: die düsterhohen Räume, die verrückten Mosaikböden, die wenigen und viel zu kleinen Möbel, das chaotische Arbeitszimmer mit den Aktenbergen auf jeder waagerechten Fläche und mit dem wackligen Bücherregal. Und diese große Küche mit den uralten Armaturen, dem Ungetüm von Backofen und dem gewaltigen Familientisch.
    »Ich habe drei Alternativen.« Dagmar schenkte Limonade nach. »Erstens: Ich prozessiere und gewinne ein Jahr, vielleicht auch zwei, sitze aber die ganze Zeit auf einem Pulverfass. Zweitens: Ich kaufe die Wohnung selbst, dazu brauche ich allerdings etwa eine Million Euro. Drittens: Ich heirate Emilio.«
    »Nein!« Anna schrie fast auf, dann sah sie, dass Dagmar grinste.
    »Keine Angst. Ich werde ihn ganz sicher nicht heiraten. Ich finde ihn zwar nicht so grässlich wie du, aber ... Nein!« Sie schüttelte sich und lachte. Anna war beruhigt. Sie holte die Mappe mit den Unterlagen aus ihrem Rucksack.
    »Der Fall Arcas gegen Soler. Schöne Grüße von Pia. Und wenn du da durchfindest, bekommst du das goldene Pfadfinderabzeichen.«
    Dagmar ließ die Mappe liegen. »Arcas war schon im Kreisverkehr, Soler ist reingefahren. Und er war betrunken. Auch, wenn er unser Klient ist.«
    »Ja, so sieht's aus. Aber Arcas hat genau diesen Unfall schon dreimal vorher gehabt. Und kassiert. In Tarragona, Valencia und in Denia. Pia hat das rausgefunden.« Anna trank aus und stand auf.
    »Immerhin—der Mann kommt rum.« Dagmar klappte die Mappe auf. »Das ist ja wirklich sehr hübsch. Wunderbar!« Sie stand auch auf. »Was ich dich noch fragen wollte ...«
    »Ja?« Anna blieb stehen, schaute Dagmar aber nicht an.
    »Du hast morgen Geburtstag. Irgendwelche Wünsche?«
    »Nein. Ich ... ich bin mit allem glücklich, so wie es ist.«
    »Du wirst achtzehn. Volljährig.«
    »Nicht so wichtig. Und danke für die Limo.« Anna nahm im Hinausrennen den Scooter. Hörte noch, wie Dagmar etwas hinter ihr herrief, verstand es aber nicht. Sie sprang auf den Gehweg und raste vor zur Mallorca und hinüber zur Rambla de Catalunya.
    Der Platz unter den alten Platanen war inzwischen etwas belebter. Drei der Bänke waren besetzt. Zwei englische Touristen mit Sonnenhütchen und kurzen Hosen über geröteten Knien untersuchten ihre durchgefetteten Lunchbeutel, eine alte Frau in Kittelschürze strickte an einer rosa Babydecke, und ein bärtiger Mann blätterte in einem Buch. Keine Spur von Sergio.
    Anna sah auf die Uhr. Sie war fast eine halbe Stunde weg gewesen. Sogar etwas länger. Scheiße. Sie war wütend. Sie hatte dem Jungen vertraut. Sie war reingefallen. Auf den Jungen, seine Art, sich auszudrücken, und die scheinwerfergroßen dunklen Augen.
    Sie sah sich um.
    Vorhin hatte da noch ein weißer Kombi geparkt, jetzt war er verschwunden. An seiner Stelle stand ein blauer Seat. Die Engländer probierten hart gekochte Eier und trockene Hühnerschenkel. Die Frau in der Kittelschürze war offensichtlich halbblind. Und der Bärtige mit dem Buch schien sowieso nicht von dieser Welt zu sein.
    Anna fuhr bis zum Ende der Rambla, drehte eine Kurve, fuhr wieder zurück und suchte die Gehwege auf der anderen Seite der Fahrbahn mit den Augen ab. Keine Spur von Sergio. Na schön. Ein Kickboard verloren, dafür einen Scooter und ein Stück Lebenserfahrung gewonnen.
    Anna wandte sich um und fuhr los. Legte sich in die Kurven und trat durch. Seltsam, dass sie sich in dem Jungen so getäuscht haben sollte. Mit Jungen kannte sie sich eigentlich aus. Sie war mit Jungen aufgewachsen. Sie war selbst wie ein wilder Junge gewesen, in all den Jahren in der Finca auf Ibiza.
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