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Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe

Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe

Titel: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe - Frascella, C: Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe
Autoren: Christian Frascella
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aber zum Glück hielt er sich zurück.
    Während ich mit großer Mühe ein Lächeln aufsetzte, sah er auf die Uhr. »Fang an zu pressen, ich bin gleich wieder da!«
    Ich sah ihn auf die Abteilung mit den Büros zugehen, von wo aus ich erst vor wenigen Tagen die Werkshalle betreten hatte, als ich, auf ein besseres Leben hoffend, hinter Collura herlief. Jetzt war dieses Leben in unmittelbare Reichweite gerückt.
    Ich wandte mich um: Vincenzo, der Blonde, der Fettwanst und die anderen hatten die Szene mit angesehen. Auch die Molisaner an den Automatischen hatten alles beobachtet. Ein großer Teil der Arbeiter und Arbeiterinnen an der Ritelli-Linie ebenfalls. Und allen war dieselbe Verachtung ins Gesicht geschrieben.
    Ich legte mir den Magneten in die Handfläche und machte mich wieder ans Pressen.
    Giulio war noch nicht zurückgekehrt, als der Joker gegen neun Uhr zwanzig kam, um mich zu ersetzen. Ich reichte ihm den Magneten.
    »Was für einen Scheiß baust du hier?«, wollte er wissen.
    »Was geht dich das an?« Ich zog mir die Handschuhe aus, meine Finger waren völlig steif.
    Auf allen Bändern der blauen Linie türmten sich die Bleche.
    »Es geht mich was an!«, sagte er. Aber er erklärte nicht, warum.
    Ich ging auf die Toiletten zu, bog dann aber in Richtung Münztelefon ab. Ich grub Münzen aus meiner Tasche und suchte nach dem Zettel mit Mauros Telefonnummer. Ich wählte.
    Er antwortete beim zweiten Läuten.
    »Ich bin’s, wie geht es ihm?«, fragte ich hastig.
    »Endlich!«, rief er aus. »Deine Schwester hat mich vor zwanzig Minuten angerufen. Sie sagt, dass man ihn in den Operationssaal gebracht hat.«
    Ich lauschte eine Weile auf das Echo seiner Worte, auch dann noch, als er etwas anderes hinzufügte.
    »Ich hab nicht gehört«, murmelte ich.
    »Es gab … er hat heute Morgen wieder eine Blutung gehabt, darum haben sie beschlossen, zu operieren.«
    Siebzig Prozent …
    Ich umklammerte den Hörer.
    »Bist du noch da?«, fragte Mauro nach ein paar Sekunden.
    »Ja.«
    »Willst du … ich weiß nicht, soll ich kommen und dich abholen, damit wir zusammen hinfahren können?«
    Wieder ließ ich Zeit vergehen. Oder es war die Zeit, die über mich hinwegging.
    »Hallo?«
    »Ich arbeite weiter, nach Schichtende komme ich sofort zu euch«, sagte ich in einem Atemzug und hängte auf, ohne seine Antwort abzuwarten. Beide Hände an die Wand gestützt, stand ich da und atmete langsam.
    Dann ging ich wie ein Roboter in die Waschräume und drehte einen Wasserhahn auf. Ich spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht.
    Er wurde aufgeschnitten, vielleicht war er schon tot. Der Chef. Mein Vater.
    Hinter einer Klotür stieg Haschgeruch auf. Da dröhnte sich jemand ein bisschen zu, um den Vormittag durchzustehen. Fast kriegte ich Lust, anzuklopfen und um einen Zug zu bitten. Dann dachte ich, dass mir das einen Scheißdreck helfen würde. Dass nichts helfen würde, niemals.
    Draußen zündete ich mir eine Fluppe an.
    Ich rauchte sie langsam. Nach der Hälfte warf ich sie weg und ging zur Tiefziehpresse zurück. Ich spürte, dass die Blicke aller Menschen in dieser Halle auf mich gerichtet waren.
    Während ich an meinen Platz ging, kam ein Gabelstapler, der größer war als die anderen, durch das Haupttor in die Halle hereingefahren.
    Der Joker übergab mir den Magneten und sagte etwas, auf das ich nicht achtete.
    Jetzt wurde das Tor wieder geschlossen. Ich sah, wie das Rechteck aus Licht langsam schmaler wurde, während die Rolltüren sich knarrend senkten.
    Bevor ich die Handschuhe anzog, betrachtete ich meine Hände und dachte daran, wie ich gestern Nacht Chiaras Haut gestreichelt hatte. Entschieden der schönste Platz, wo meine Hände sich je aufgehalten hatten, seit sie meine Hände waren.
    Einen Augenblick lang fand ich zu dem Gefühl der weichen Dunkelheit in ihrem Schlafzimmer zurück.
    Und dann dachte ich an Doktor Frescotti, an seinen müden Gesichtsausdruck bei dem einzigen Mal, als wir uns gesehen hatten. Auch an seine Hände dachte ich, an das, was sie in diesem Moment im Körper meines Vaters taten.
    Die Rolltüren waren jetzt zur Hälfte heruntergelassen.
    Dann ging es noch einmal um Hände und Finger, Finger, die nicht mehr da waren und nie mehr zurückkommen würden: die von Mario, der aus wer weiß welcher Ecke aufgetaucht war und jetzt auf mich zukam.
    »Wie geht’s?«, fragte er. »Man hat mir erzählt, dass du hier ein Riesenschlamassel angerichtet hast. Mehr als sechshundert Stück in einer Stunde.« Er
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