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Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen

Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen

Titel: Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen
Autoren: Alexandra Fröhlich
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Wodka mitgenommen, der sie unterwegs stärkte.
    Als sie schon fürchteten, die Orientierung verloren zu haben, erhob sich vor ihnen die imposante Villa Winter. Fast ein wenig unheimlich leuchtete das helle Haus in der Dunkelheit, Licht aber war nirgends zu sehen. Sie umrundeten die Anlage und fanden alles verschlossen.
    Rostislav entwand Vater die Schaufel und versuchte, eine Tür, die weniger robust wirkte, aufzubrechen. Er machte einen Mordsradau, die Tür aber hielt stand, Vater schüttelte den Kopf. Dann warf sich Artjom mannhaft dagegen, Holz splitterte, und die drei zwängten sich durch die entstandene Öffnung.
    Sie standen in einem langen, düsteren Flur, von dem mehrere Zimmer abgingen. Es roch modrig.
    »Källärr, wir mussen zum Källärr«, flüsterte Rostislav.
    Alle nahmen vorsichtshalber noch einen Schluck aus der Flasche und begaben sich dann auf die Suche nach dem Keller. Je tiefer sie in das Gebäude eindrangen, je mehr Flure sie durchschritten, desto stärker wurde der unangenehme Geruch. Sie spähten in schwarze Räume, lugten um Ecken in die Finsternis, unheimliche Geräusche – ein Kratzen, ein Rascheln, ein Fiepen – jagten ihnen Schauer über die Rücken.
    Weit kamen sie nicht. Aus einem der dunklen Löcher sprang plötzlich ein Mann und fuchtelte ihnen mit einem Gewehr vor der Nase herum. Er trieb sie vor sich her, bis sie in einer Art Eingangshalle standen. Hinter dem Mann erschien eine Frau, die Szenerie gespenstisch mit einer Petroleumlampe ausleuchtend.
    So standen sie nun da, der Mann und die Frau auf der einen Seite, Rostislav, Artjom und Vater auf der anderen, und starrten sich feindselig an.
    »Nun«, eröffnete Vater die Konversation, »offenbar haben wir Sie geweckt. Das tut uns sehr leid. Das war wirklich nicht unsere Absicht. Wir haben uns wohl etwas verlaufen. Wo geht es denn hier ins Dorf zurück?«
    Das Paar verstand kein Wort. Und wenn es verstanden hätte, so hätte es kein Wort geglaubt. Artjom versuchte es auf Russisch, was nur dazu führte, dass die beiden zurückwichen und der Mann wild mit der Waffe wedelte.
    »Du sprichst Italienisch«, zischte Vater Rostislav zu, »ist doch ähnlich wie Spanisch. Sag du mal was. War ja schließlich deine Schnapsidee.«
    »Buona sera«, sagte Rostislav und breitete herzlich die Arme aus, »come sta? Tutto bene?«
    Der Mann ließ einen Schwall Spanisch auf Rostislav los und kam drohend näher.
    »Nicht ähnlich«, sagte Rostislav, »ganz anderrs.«
    »Hat einer von euch Geld dabei?«, fragte Vater. »Vielleicht lassen sie uns gehen, wenn wir die Tür bezahlen.«
    Rostislav griff schwungvoll in die Innentasche seiner Jacke und wollte seine Brieftasche zücken. Der Mann, der vermutete, dass sein Gegenüber auch bewaffnet war, gab einen Warnschuss in die Luft ab, Putz rieselte ihnen auf die Köpfe. Rostislav hielt die Hände nun stramm an der Hosennaht.
    »Schaiß Idee, Karrl!«
    »Schon gut, schon gut.«
    Die Frau verschwand kurz und kehrte mit zwei Hockern zurück, auf die sie und ihr Gefährte sich setzten. Offenbar richteten sie sich auf einen längeren Aufenthalt in dieser Halle ein. Des Herumstehens müde hockten sich Vater, Rostislav und Artjom auf den Boden.
    Artjom ließ den Wodka kreisen und bot, schließlich war er ein Mann mit Manieren, auch ihren Gegenübern etwas an. Der Mann hob das Gewehr, zielte auf Rostislavs Stirn, die Frau schlurfte heran und nahm die Flasche. Die beiden tranken, der Schnaps wechselte wieder die Besitzer. So ging es hin und her, eine klassische Pattsituation.
    »Was machen wir jetzt?«, fragte Vater, als der Wodka alle war.
    »Vielleicht haben die noch was zu trinken«, sagte Artjom.
    »Nein, ich meine, wie kommen wir hier wieder raus?«
    »Abwarten.«
    Die Männer machten es sich Rücken an Rücken auf dem harten Untergrund einigermaßen bequem. Mit Argusaugen verfolgten ihre Kerkermeister jede ihrer Bewegungen.
    »Mit euch Russen erlebt man was«, murmelte Vater, »die Sache im Wald war schon verrückt. Aber das hier …«
    Nach ungefähr zwei Stunden, die langsam verrannen, hörten sie draußen ein Auto vorfahren. Es pochte an der gewaltigen Eingangstür, jemand rief: »Policía!«
    Die Frau öffnete vorsichtig, und herein traten zwei Polizisten, die das Schauspiel, das sich ihnen bot, sehr amüsant fanden. Jedenfalls grinsten sie ununterbrochen und stupsten sich immer wieder an. Nach einem klärenden Wortgefecht zwischen den Einheimischen bedeuteten die Beamten den Männern, aufzustehen und sich
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