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Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen

Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen

Titel: Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen
Autoren: Alexandra Fröhlich
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weitere Kaffees.
    Man kam mit dem Wirt, der leidlich Deutsch sprach, ins Gespräch und fragte ihn, ob sich sein Geschäft an einem derart gottverlassenen Ort überhaupt rentieren würde. Ihr Gastgeber schaute sie überrascht an und erklärte, Cofete sei ein echter Touristenmagnet, einerseits wegen des unendlichen Sandstrandes, andererseits natürlich wegen der Villa Winter. An den fragenden Blicken der Fremden erkannte er, dass sie keine Ahnung hatten, wovon er sprach. Also weihte er sie ein.
     
    Die Villa Winter wurde von dem deutschen Ingenieur Gustav Winter errichtet, auf Fuerteventura als Don Gustavo bekannt. Schon über das Baujahr des festungsähnlichen Gebäudes gab es widersprüchliche Angaben, irgendwann in den vierziger und fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts.
    Noch mehr Anlass zu Spekulationen bot die Frage nach dem eigentlichen Zweck der Villa. Etliche Verschwörungstheoretiker neigten dazu, einen unterirdischen deutschen U-Boot-Hafen zu vermuten, den Hitler mit Francos stillschweigender Genehmigung von Winter errichten ließ. Angeblich gab es in der Villa mindestens zwei Kellergeschosse, die zu einem unterirdischen, mit dem Meer verbundenen Höhlensystem führten. Und wozu sonst war der imposante Turm errichtet worden, wenn nicht, um dort eine Flak aufzustellen und Angreifern den Garaus zu machen?
    Dann wiederum wurde gemutmaßt, dass das Haus nach dem Zweiten Weltkrieg als Versteck für Nazi-Größen diente, die von hier aus ihre Flucht nach Südamerika antreten sollten. Gustav Winter selbst hatte immer darauf bestanden, das Gebäude allein für sein Privatvergnügen genutzt zu haben, weil er ein großer Naturliebhaber sei und dort eine Tomatenplantage aufbauen wolle. Eine Geschichte, die ihm schon wegen der Unwirtlichkeit der Gegend niemand abnahm. Dazu kamen die baulichen Besonderheiten der Anlage: meterdicke Mauern, der Turm, riesige Zimmer, die ganze Kompanien fassen konnten, und etliche Ungereimtheiten mehr.
    Etwas Genaues aber wusste keiner. Die Villa verfiel zusehends, nur wenige Räume wurden noch von einem alten Verwalter und dessen Schwester bewohnt. Die beiden besserten ihren kargen Lohn damit auf, Touristen gegen ein paar Euro in das Anwesen zu lassen.
    Und so konnten Besucher weitere Merkwürdigkeiten berichten – dass Türen verriegelt und verrammelt waren, Fenster und Kellerzugänge zugemauert und der Hausmeister keine Auskunft geben mochte, was sich dahinter verbarg. Ein paar ganz Aberwitzige behaupteten, in den unterirdischen Gewölben seien noch mehrere Tonnen Edelmetall versteckt, Teile des sagenhaften Nazi-Goldes.
     
    Fasziniert hatten Vater, Artjom und Rostislav der Geschichte gelauscht und dabei gut bezuschusste Kaffees konsumiert. In Rostislavs Blick lag ein gefährliches Funkeln.
    »Gold, hmmm, hmmm«, sagte er und wollte wissen, wo genau die Villa Winter läge. Überhaupt nicht weit weg, erklärte der Wirt, einfach links die Schotterpiste hoch, und dann käme man direkt auf das Haus zu.
    »Du willst da doch nicht etwa hin?«, fragte Vater und deutete hinaus. Es regnete, es windete, es war dunkel. »Vielleicht sollten wir lieber zusehen, dass wir zum Hotel zurückkommen.«
    Das fand auch Artjom und fragte den Barmann, ob er ein Taxi bestellen könne. Der lachte ihn aus. Erstens hätte sich noch nie ein Taxi hierher verirrt, denn Cofete sei nur mit einem vernünftigen Allradantrieb zu erreichen. Und zweitens habe das Unwetter wohl einen Sendemast lahmgelegt, jedenfalls sei schon vor Stunden das Mobilfunknetz zusammengebrochen. Die Herren müssten also wohl oder übel hier ausharren, er würde sich glücklich schätzen, ihnen weiterhin seine Gastfreundschaft zu gewähren.
    »Noch einen Kaffee?«
    Nach weiteren Heißgetränken hatte die unheilvolle Mischung aus Koffein und Alkohol die Hirne derart außer Gefecht gesetzt, dass Artjom meinte, wenn man sowieso hier festsäße, könne man doch auch zur Villa rüberschlendern, Vater ihm sofort zustimmte und Rostislav den Wirt fragte, ob er ihm eine Schaufel leihen könne.
    »Wofür?«, fragte der Wirt.
    »Main Freund Karrl hat värrletzte Fuß. Nimmt Schaufel wie Stock zum Gähen.«
    Das leuchtete ein.
    Die drei schlüpften in ihre mittlerweile wieder getrockneten Sachen, den Rucksack ließen sie in der Bar, sie würden ja gleich wiederkommen, dann wankten sie in die Nacht. Der Weg war weiter und beschwerlicher als gedacht, es war stockfinster, einige Male wären sie beinahe von der Piste abgekommen. Zum Glück hatten sie den
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