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Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen

Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen

Titel: Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen
Autoren: Alexandra Fröhlich
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einem kleinen Picknick einladen. Im Garten ihres Wochenendhauses. Bitte machen Sie uns die Freude. Wäre Ihnen zwanzig Uhr recht?«
    Eigentlich nicht. Normalerweise treffe ich privat keine Mandanten. Nun waren die Polyakows meine einzigen, und ich redete mir ein, sie nicht vor den Kopf stoßen zu wollen. Dass der Umstand, Artjom wiedersehen zu können, ausschlaggebend für meine Zusage war, verdrängte ich geschickt.
    Außerdem hatte ich tatsächlich nichts vor. Mein soziales Leben bewegte sich in einem eher bescheidenen Rahmen, nachdem die über zehnjährige Beziehung zu Bernhard gescheitert war. Wir wussten uns schon länger nichts mehr zu sagen, als der Herr eine Mitarbeiterin unserer Kanzlei recht körperintensiv einarbeitete. Daraufhin suchte ich das Weite. Der gemeinsame Freundeskreis, alles Pärchen, hatte sich von mir ab- und ihm und seiner neuen Flamme zugewandt.
    Ab und an traf ich mich mit Freundinnen aus Studentenzeiten, ab und an besuchte ich meine Eltern in Nienstedten, um bei der ersten Gelegenheit zu flüchten, da meine Mutter spätestens nach einer halben Stunde ihrem Wunsch nach einem Enkel Ausdruck gab. Immer verbunden mit der abschließenden Bemerkung: »Kind, du wirst schließlich nicht jünger.«
    Zu behaupten, dass ich einsam war, traf es nicht. Ich war einsam und verzweifelt und hungrig nach Aufmerksamkeiten jeder Art. Deshalb freute ich mich auf den Abend mit dieser merkwürdigen Familie.
    Picknick, Garten, Wochenendhaus, das klang entspannt und leger, und ich fühlte mich bei meinem Aufbruch in Jeans und T-Shirt passend gekleidet.
    Natürlich hatte ich mir im Vorfeld über russische Tischgepflogenheiten, insbesondere das Trinkverhalten, Gedanken gemacht. Gleich einem Pawlowschen Reflex schob sich vor mein geistiges Auge das Bild von lauten, ungehobelten Menschen, die Unmengen von Wodka konsumieren und ihre Gläser an die Wand schmeißen. Man hat seine Klischees im Kopf.
    So schlimm wird es nicht werden, dachte ich. Die Polyakows waren zwar anders als die meisten Menschen, die ich kannte, aber sie schienen gebildet und keine Säufer zu sein. Vorsichtshalber und als kleines Gastgeschenk nahm ich eine Flasche staubtrockenen Chardonnay mit.
    Ich hatte nicht gefragt, wo genau das Wochenendhaus lag, tippte den Straßennamen, den Artjom mir genannt hatte, in mein Navi ein und wähnte mich auf dem Weg zu einem idyllischen Wäldchen in einem Hamburger Randgebiet. Das Gerät lotste mich in eine Kleingartenkolonie in Billstedt.
    Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. In meiner Fantasie war aus dem Wochenendhaus so etwas wie ein Schweizer Chalet in den Harburger Bergen geworden. Nun stand ich vor einer windschiefen Gartenlaube mitten in einem Stadtteil, der mir als gebürtiger Hanseatin bislang nur vom Hörensagen als sozialer Brennpunkt und architektonische Hochhausödnis bekannt war.
    Unvorsichtigerweise öffnete ich die Pforte des rostigen Zauns, betrat den verwilderten Garten und rief dann fragend: »Hallo?«
    Aus einem Gestrüpp rechts von mir stürzte etwas hervor, das ich zunächst für ein Pony hielt. Das Etwas begrub mich unter sich und hechelte mir mit fauligem Atem ins Gesicht, dann bellte es.
    »Wassja! Fu! Dawai!«, schrie jemand von irgendwoher.
    Ich nahm an, dass dieser Befehl dem Riesen auf mir galt, der sich allerdings nicht rührte.
    »Wassja! Fu, fu!«
    Das Vieh gähnte mich an, erlaubte mir einen Blick auf seine verrotteten Zahnreihen und wuchtete sich von mir herunter.
    Artjom schob sich in mein Blickfeld.
    »Frau Matthes, geht es Ihnen gut?«
    »Danke, nix passiert«, versicherte ich und ließ mir aufhelfen.
    »Da sind Sie ja schon. So früh … Wir haben noch gar nicht mit Ihnen gerechnet!«
    Ich schaute auf meine Uhr. Punkt acht. Hatte ich ihn am Telefon falsch verstanden?
    »Sagten wir nicht zwanzig Uhr?«, fragte ich irritiert.
    »Egal, egal. Wie schön, dass Sie da sind. Kommen Sie …« Artjom ging voran in den hinteren Teil des Gartens. Jetzt erst wurde mir bewusst, dass er nur eine Jogginghose trug. Das war wirklich sehr leger.
    Hinter dem verwitterten Holzhäuschen, dessen grüner Anstrich nur noch in Rudimenten zu erkennen war, erstreckte sich eine überraschend große Wiese mit Obstbäumen, an den Rändern lagen Gemüsebeete. Rostislav eilte mir in Unterhemd und Unterhose mit ausgestreckten Armen entgegen, aus den Augenwinkeln sah ich, wie Darya in einem durchsichtigen Negligé über eine Holzterrasse ins Haus huschte. Ich musste mich völlig in der Zeit geirrt
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