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Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen

Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen

Titel: Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen
Autoren: Alexandra Fröhlich
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Geschenk. Erst auf dem Sterbebett offenbarte sie sich und vermachte das Violoncello ihrer Tochter, Darya Polyakowa.
    Seitdem hatte das Instrument die Familie auf ihrem Weg begleitet, es wurde bewahrt wie eine Reliquie, kaum dass sich Darya traute, darauf zu spielen – und wenn, dann nur im stillen Gedenken an das unsichtbare Band zwischen Mstislaw und Ljudmilja.
     
    Artjom standen Tränen in den Augen, als er endete, Rostislav wischte sich den Schweiß von der Stirn, Darya schneuzte in ein Taschentuch. Natürlich hatte die Story auch mich nicht kaltgelassen, aber große, coram publico dargebotene Gefühle sind nicht meins, und schließlich war ich als knallharte Anwältin gefordert. Deshalb fragte ich sachlich: »Haben Sie denn das Cello einmal schätzen lassen?«
    »Sein Wert geht in die Hunderttausende, er liegt im knapp siebenstelligen Bereich«, sagte Artjom.
    »Hunderttausende …«, jetzt flüsterte ich, »… knapp siebenstellig.« Ich schlug die Augen nieder, aus Angst, dass die reine Gier darin stand. Immerhin berechnet sich das Salär eines Rechtsanwalts auch nach dem Streitwert des jeweiligen Verfahrens. Die Lösung all meiner Probleme schien greifbar nahe.
    »Und den Wert können Sie auch belegen?«
    Artjom nickte. »Wir haben die Expertise eines renommierten russischen Musikwissenschaftlers.«
    »Sehr gut. Können Sie mir dieses Dokument vorbeibringen? Für ein mögliches Verfahren muss ich es übersetzen und beglaubigen lassen.«
    »Kein Problem, Frau Matthes«, sagte Artjom.
    Ich griff in meine Schreibtischschublade und zückte ein Formular. »Wenn Ihre Eltern mir das bitte unterschreiben. Damit erklären Sie, dass ich Sie anwaltlich vertrete und befugt bin, Ihre Interessen Dritten gegenüber wahrzunehmen.« »Das heißt, Sie helfen uns?«
    »Herr Polyakow, es ist mir ein Vergnügen.«
    »Nennen Sie mich doch bitte Artjom.«
    Sehr gern, dachte ich und spürte dem Klang seiner Stimme nach, die durch meinen Körper rauschte.

[home]
    2
    N achdem Familie Polyakow sich überschwenglich von mir verabschiedet hatte, stürzte ich mich in die Arbeit. Fairerweise, dachte ich, sollte ich zunächst Kontakt zu dem Vermieter aufnehmen. Eventuell zeigte er sich einsichtig und gab das Cello ohne weiteres Aufheben zurück. Oft kommen Menschen schon zur Vernunft, wenn sie einen Anwalt nur an der Strippe haben.
    Ich wählte die Nummer von Herrn Reimers.
    »Reimers?«
    »Guten Tag, Herr Reimers, Rechtsanwältin Matthes hier. Ich vertrete Ihre ehemalige Mieterin Frau Polyakowa und …«
    Schallendes Gelächter, dann machte es klick. Vielleicht eine Störung in der Leitung? Ich rief erneut an.
    »Reimers?«
    »Herr Reimers, wir sind gerade unterbrochen worden. Matthes mein Name, ich bin die Anwältin von Darya …«
    »Blöde Kuh!« Klick. Nein, keine Störung in der Leitung.
    Ich war mir nicht sicher, ob er mit der blöden Kuh nun mich oder meine Mandantin gemeint hatte. Ich beschloss, persönlich beleidigt zu sein, und schrieb einen unfreundlichen Brief, in dem ich die Herausgabe des Cellos innerhalb von vierzehn Tagen forderte und mit weiteren rechtlichen Schritten drohte.
    Zwei Wochen lang passierte nichts – außer, dass mich mehrmals täglich abwechselnd Artjom und sein Vater anriefen, um zu erfragen, wie weit ihr Fall gediehen war. Meine Erklärung, dass diese Sache etwas Zeit in Anspruch nehme, da man in Deutschland bestimmte Fristen einzuhalten habe, und mein Versprechen, mich sofort zu melden, wenn es etwas Meldenswertes gebe, ignorierten sie eisern. Nichtsdestotrotz zog ich die Gespräche mit Artjom künstlich in die Länge, nur um in den Genuss seines satten Basses zu kommen.
    Kurz vor Ablauf meines Ultimatums erläuterte ich ihm, dass ich nun Klage beim Landgericht einreichen wolle. Der entsprechende Schriftsatz sei in Vorbereitung – dass ich diesen mindestens achtmal überarbeitet hatte, behielt ich für mich. Ich wies Artjom darauf hin, dass an deutschen Gerichten das Prinzip der Vorkasse gilt. Klage gegen Cash. Und die Verfahrenskosten bemaßen sich an der Höhe des Streitwerts.
    »Oh«, erwiderte Artjom, »wie viel ist das denn ungefähr?«
    »Sie müssen schon mit fünf- bis sechstausend Euro rechnen.«
    »Oh«, sagte Artjom wieder, »ich melde mich gleich noch mal.«
    Bei seinem nächsten Anruf schlug er vor, die Angelegenheit doch besser in aller Ausführlichkeit zu besprechen, und fragte, ob ich am Samstagabend schon etwas vorhabe.
    »Samstagabend?«
    »Ja, meine Eltern möchten Sie gern zu
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