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Meine Kinderjahre

Meine Kinderjahre

Titel: Meine Kinderjahre
Autoren: Theodor Fontane
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und am nächsten Montag, wo die Schule wieder anfing, setzte ich mich auf die Quartabank.
    Was ich dahin mitbrachte, war etwa das Folgende: Lesen, Schreiben, Rechnen; biblische Geschichte, römische und deutsche Kaiser; Entdeckung von Amerika, Cortez, Pizarro; Napoleon und seine Marschälle; die Schlacht bei Navarino, Bombardement von Algier, Grochow und Ostrolenka; Pfeffels Tabakspfeife, »Nachts um die zwölfte Stunde«, Holteis Mantellied und beinah sämtliche Schillersche Balladen. Das war, einschließlich einiger lateinischer Brocken, so ziemlich alles, und im Grunde bin ich nicht recht darüber hinausgekommen. Einige Lücken wurden wohl zugestopft, aber alles blieb zufällig und ungeordnet, und das berühmte Wort vom »Stückwerk« traf auf Lebenszeit buchstäblich und in besonderer Hochgradigkeit bei mir zu.
     
Fußnoten
     
    1 Nur auf kurze Zeit, denn noch im selben Jahre ging die Verlobung Louise Rogées zurück, weil diese mittlerweile
Karl von Holtei
kennengelernt hatte, dessen Gattin sie wurde. Mit ihrem ersten Verlobten, der sich neben der eminenten Holteischen Liebenswürdigkeit nicht zu behaupten wußte, würde sie wahrscheinlich glücklichere oder doch minder unglückliche Tage verlebt haben, aber das war damals nicht vorauszusehen und würde, wenn doch, mutmaßlich unbeachtet geblieben sein.
     
    2 Durch einen Nebensächlichkeitsbeweis die Hauptsache beweisen zu wollen, dafür mag aus meinen Erlebnissen hier noch folgendes als ein glänzendes Beispiel dienen. Ein Freund von mir besaß eine etwa anderthalb Fuß hohe Terrakottastatuette, hübsche Arbeit, die einige für das von Michelangelo persönlich herrührende Modell zum »Moses« hielten, während dies von andern bestritten wurde. Nun befand sich an einer Stelle der Figur ein scharf in die Terrakottamasse abgedruckter Finger, derart scharf, daß die kleinen Rinnen und Rillen der Haut ganz deutlich erkennbar waren. Als es nun die Echtheit zu beweisen galt, sagte mein Freund: »Es kann kein Zweifel sein; Sie sehen hier ganz deutlich den Finger.« Das war auch richtig; man sah den Finger, man sah nur nicht, daß es der
Michelangelosche Finger
war. Trotzdem hab ich es, zunächst an mir selbst, dann aber auch an andern erlebt, daß dieser Beweis momentan für voll angesehn wurde. Ja, der Besitzer selber war, als er das erste Mal auf den Fingerabdruck hinwies, durchaus bona fide dabei verfahren und setzte erst später diese Art von Beweisführung als Spiel und Jokosum fort.
     
    3 Ein solches Hinüberrollen schwerer Geschütze von der einen Seite des Schiffs auf die andere hat sich im Kriege zu Zwecken der Verteidigung öfters zugetragen; einmal aber kam es auch mitten im Frieden vor und führte, weil unvorhergesehen, eine schreckliche Katastrophe herauf. Das war in den siebziger oder achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Um diese Zeit lag der »Royal George« auf der Reede von Portsmouth, und der Admiral veranstaltete an Bord dieses seines Flaggschiffes einen Ball, zu dem, außer der vornehmen Welt von Portsmouth, auch die jungen Offiziere der Kanalflotte geladen waren. Alles war Glanz und Glück. Aber mit einem Male, während man, so wenigstens wird angenommen, eben zu einem neuen Tanze antrat, senkte sich das Schiff, wenn auch zunächst nur langsam, nach links hinüber, und ehe man das volle Gefühl der Gefahr noch haben konnte, schlug es um und versank lautlos. Die Kanonen der rechten Seite, die man versäumt hatte festzulegen, waren, als eine Brise von derselben Seite her heranwehte, durch ein Sich-schräg-Legen des Schiffs nach links hinübergerollt und hatten das Unglück herbeigeführt. – Ein halbes Jahrhundert und mehr hatte den Vorfall in Vergessenheit geraten lassen, als die mittlerweile seitens der Taucherkunst gemachten Fortschritte zu dem Versuche führten, das Schiff wieder zu heben oder wenigstens den Wertinhalt desselben wieder ans Licht zu schaffen. Ich lebte gerade damals, 1858, in England und verfolgte diese Versuche mit dem höchsten Interesse. Die Taucher waren selbstverständlich die Helden des Tages. Ihr beständiges Sichbewegenmüssen unter den geputzten Balldamen in der Salonkajüte hatte manches, was auf die Nerven fiel, aber eine ganz bestimmte Szene, die vorkam, war doch noch von etwas besonders Schreckhaftem begleitet. Es galt, als man mit dem Leichteren fertig war, zuletzt noch die Hinaufschaffung der Geschütze, die denn auch dadurch bewerkstelligt wurde, daß die Taucher eine von oben her herabgelassene
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