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Meine Kinderjahre

Meine Kinderjahre

Titel: Meine Kinderjahre
Autoren: Theodor Fontane
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weil die Brücke hier wenig Abfluß gönnte, staute sich dann auch das Moorwasser und schuf eine von Binsen eingefaßte Lanke, drauf gelbe und weiße Teichrosen schwammen. An der der Stadt zu gelegenen Brückenseite, da, wo das mit Kiennadeln übersäte Ufer ein wenig anstieg, ließ ich meine Truppe mit Vorliebe lagern und erging mich, Mal auf Mal, in der entzückenden Vorstellung, daß ich der Verteidiger dieses Brückenüberganges oder, was mir noch besser klang, dieses »Defilees« sei. Wie die Verteidigung zu machen sei, war mir ganz klar: Abtragen der Bohlen, Auftürmen der Stämme zu einem Verhau und dann überdeckte Löcher oder Wolfsgruben, in die der Feind stürzen mußte, selbst wenn er das Verhau genommen, was doch immer noch fraglich. Aber inmitten dieser Siegesvorstellung überkam mich plötzlich wieder eine furchtbare Angst; mein Vertrauen zu mir selber war freilich unbegrenzt, ich konnte nur sterben, und sterben war süß – aber meine Truppe! Fritz Ehrlich war ein Heldenjunge, sonst aber war alles foosch. Da lagen sie wieder mit einem Süßholzstengel zwischen den Zähnen, und kein einziger unter ihnen, den einen Genannten abgerechnet, der den Moment begriffen oder von Disziplin eine Ahnung gehabt hätte. »Thompson«, rief ich, »hole mir die weiße Mummel da!« – »Hol sie dir selber«, und dabei lachte der freche Junge. Und mit solchem Material wollt ich das Defilee halten! Ich ließ den Hornisten zum Antreten blasen und konnte von Glück sagen, daß er gehorchte. Trommler und Hornist gehorchten übrigens immer, weil es ihnen Spaß machte. Ja, Spaß, Spaß, das war es. Von ernsterem Erfassen unserer Aufgabe keine Spur. Und in dem Gefühl, wieder einen großen Moment versäumt zu haben, trat ich mit meiner Truppe den Rückzug an. Sie hatte sich sichtlich verschlechtert. Als Hastaten waren sie besser gewesen. Das kommt bei Reformen heraus.
     
    Ärgerliche Betrachtungen wie diese kamen mir häufig. Im ganzen aber war das Frühjahr 31, eben meine »Fristzeit«, doch eine glückliche Zeit für mich und blieb es bis in den Sommer hinein. Inmitten der mir immer wiederkehrenden Zweifel bestand doch die Tatsache fort, daß wir nun schon seit Monaten die Straße beherrschten und weder in der Stadt bei unsern gewöhnlichen Spielen noch draußen auf unsern Lagerplätzen einem Angriff von seiten unserer Gegner ausgesetzt gewesen waren. All das gab mir, meinen Beängstigungen zum Trotz, doch auch wieder ein bestimmtes Maß von Vertrauen zurück. Ich sagte mir: »Ja, die Truppe ist schlecht, es sind lauter Ausreißer, und Fritz Ehrlich und ich können die Sache nicht allein machen; aber, wenn die Truppe schlecht ist, die Führung ist desto besser, und weil unsre Feinde das fühlen, haben sie Respekt und gönnen uns Frieden.« Ja, sie gönnten uns Frieden, wirklich. Aber, wie sich bald zeigen sollte, die Ruhe, die wir hatten, war die Ruhe vor dem Sturm. Unsere ganze Stadt- und Straßenherrschaft hatte von Anfang an auf dem Ansehen unserer Eltern beruht, die man in ihren Kindern nicht beleidigen wollte. Das meiste, wenn nicht alles, war Vorteilserwägung und Rücksichtnahme gewesen, wozu die meist im Dienst der Reeder und Kaufleute stehenden Schiffer und Hafenarbeiter ihre anfänglich bloß an Zahl, aber neuerdings auch an Kraft uns weit überlegenen Jungens ermahnt haben mochten.
    Eine lange Zeit war es so gegangen, und man hielt sich, wenn auch widerstrebend, auch jetzt noch zurück. Als aber eines Tages einige der Allerkleinsten und Schwächlichsten meiner Truppe, die natürlich, solange sie sich sicher wußten, auch immer die Herausforderndsten waren, sich wieder mal allerlei Neckereien erlaubt hatten, brach die Revolution aus. Man wollte unsre Herrschaft brechen, uns einen Denkzettel geben. Ich habe die Nachmittagstunde, wo sich dies ereignete, noch deutlich vor mir. Wir spielten um die Kirche herum, und ich meinerseits stand eben auf einem auf zwei hohen Sägeböcken liegenden und von beiden Seiten her schon mit Eisenkrammen eingespannten Baumstamm, als ich mit einem Male sehen mußte, daß zwei der Meinigen, die grad über den etliche hundert Schritt entfernten Markplatz gingen, beim Kragen gepackt und von einem bildhübschen Jungen, der Erich Munk hieß, erst übergelegt und dann abgestraft wurden. Ein anderer Junge, Freund Erich Munks, stand daneben und lachte. Die beiden Abgestraften schrien furchtbar, und wiewohl es mir sicher war, daß sie wegen ihres hochmütigen und hämischen Wesens das
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