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Meine Kinderjahre

Meine Kinderjahre

Titel: Meine Kinderjahre
Autoren: Theodor Fontane
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durchaus auf Defensive gerichtet gewesen und der Weisung geführt, in kritischen Momenten immer nur mit Rücken an Rücken die Speere vorzustrecken, also das zu bilden, was in der Landsknechtszeit ein Igel genannt wurde. Danach war denn auch jederzeit verfahren worden. Aber jetzt, wo die zwei Korbsäbel da waren, war es mir klar, daß es mit dem alten System vorbei sein müsse. Das beständige Stillstehen und Abwarten des feindlichen Angriffs war langweilig und unmännlich zugleich. Und so wurde denn beschlossen, bei der gesamten Truppe statt des Speeres den ganz auf Attacke gestellten Korbsäbel und statt des unbequemen, hohen, viereckigen Schildes einen kleinen Rundschild einzuführen, nur gerade groß genug, das Gesicht zu decken. Es glückte das auch alles. Die Beschaffung der Säbel wurde mit Hilfe verschiedentlich erneuten Vorgehens gegen die mütterliche Wirtschaftskasse durchgesetzt, und die Herstellung der Rundschilde war meine Sache. Lange bevor Ostern da war, war, was Bewaffnung angeht, der Übergang aus dem einen System ins andere bewerkstelligt. Ich versprach mir viel davon, und der Umstand, daß die jeden Mittwoch- und Sonnabendnachmittag nach wie vor von uns bezogenen »Campements« ohne Störung oder Angriff von seiten unserer Feinde – trotzdem sich etliche große, halbwachsene Jungen mit schottischen Mützen unter ihnen gezeigt hatten – verstrichen waren, bestärkte mich darin, daß wir angefangen hätten, der uns feindlichen Straßenjungenwelt zu imponieren.
    Eine Weile blieb ich auch noch in dieser Täuschung. Aber, wie schon angedeutet, auch wirklich nur eine kleine Weile.
     
    Das Kampieren im Freien war jedesmal ein unendlicher Genuß für mich. Wir hatten verschiedene Lagerstellen; eine war in den tiefen Sandgruben am Kirchhof, eine zweite zwischen den Dünen (in Nähe der Stelle, wo Mohr eingescharrt worden war) und eine dritte, mehr landeinwärts, in den Moorgründen, die sich mit ihren hundert Torfpyramiden und ebenso vielen dunklen Wasserlachen von den Ausläufern der Stadt her bis nach Korswandt und Kamminke zogen. Aber mehr noch liebten wir eine Waldstelle nahe bei Heringsdorf, die »Störtebeckers Kul« hieß. Dies war ein tiefes Loch, richtiger ein mächtiger Erdtrichter, drin der Seeräuber Störtebecker, der zu Anfang des 15. Jahrhunderts die Nord- und Ostsee beherrschte, mit seinen Leuten gelagert haben sollte. Gerade so wie wir jetzt. Das gab mir ein ungeheures Hochgefühl: Störtebecker und ich. Was mußte ich für ein Kerl sein! Störtebecker war schließlich in Hamburg hingerichtet worden, und zwar als Letzter seiner Bande. Das war mir nun freilich ein sehr unangenehmer Gedanke. Weil es mir aber, alles in allem, doch auch wieder wenig wahrscheinlich war, daß ich der Hamburger Gerichtsbarkeit ausgeliefert werden würde, so sog ich mir aus dem Vergleich mit Störtebecker unentwegt allerhand süße Schauer. Die »Kule« war sehr tief und bis zu halber Höhe mit Laub vom vorigen und vorvorigen Jahr überdeckt. Da lag ich nun an der tiefsten Stelle, die wundervollen Buchen über mir, und hörte, wenn ich mich bewegte, das Rascheln des trockenen Laubes, und draußen rauschte das Meer. Es war zauberhaft. Nur meine Truppe verdroß mich beständig, denn jeder einzelne mit seiner höchst zweifelhaften Räuberanlage stellte mir die gewöhnlichste Prosa des Lebens wieder vor Augen. Mein jüngerer Bruder, gutmütig wie er war, nahm immer eine Bierkruke mit aufgelöstem und furchtbar schäumendem Lakritzensaft mit, was meine »Störtebeckerschen«, die sich davon einschenken ließen, »Met« nannten. Zugleich waren meines Bruders Taschen mit einer Unmenge von wurmstichigem Johannisbrot gefüllt, um das man sich mit einer allerdings halben Räuberenergie balgte. Mir widerstand das alles, und ich trank Quellwasser, das ich mit der flachen Hand schöpfte.
    So ging es in der »Räuberkule« zu. Mir persönlich, so gruselig die Kule war, war übrigens ein etwas näher gelegener Platz fast noch mehr ans Herz gewachsen; das war eine Waldlichtung, auf halbem Weg nach Kamminke, dieselbe Stelle, die schon im Sommer 27, an ebendem Tage, wo wir unsere Einfahrt in Swinemünde hielten, einen so tiefen Eindruck auf mich gemacht hatte. Von rechts her lief hier ein Wässerchen, das aus den benachbarten Torfgräbereien kam, quer über den Weg hin, und Bohlen und Holzstämme mit einer von Flechten überzogenen und ziemlich unsicheren Anlehne bildeten eine Brücke darüber. Von derselben rechten Seite her,
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