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Meine Kinderjahre

Meine Kinderjahre

Titel: Meine Kinderjahre
Autoren: Theodor Fontane
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auf meinen Abgang von Hause verwiesen. »Das alles erhältst du wie eine Aussteuer, weil du fort mußt«, so etwa hieß es, und statt traurig über diese Veranlassung zu sein, war ich froh darüber.

    Tags darauf war Silvester und Ressourcenball, und ich schwelgte während desselben in der Vorstellung, über kurz oder lang auch vielleicht mit schönen großen Damen tanzen zu können. Ich lebte so ganz in dieser Zukunftsvorstellung, daß selbst der um Mitternacht eintretende, mich sonst immer erheiternde Nachtwächter mit seinem Horn und seinem abgesungenen Vers keinen rechten Eindruck mehr auf mich zu machen imstande war. Und einen noch geringeren Eindruck machten die Wochen auf mich, die von Neujahr an folgten. Ich erinnere mich erst wieder der Tage kurz vor meiner Abreise, wo meine Habseligkeiten gepackt und überhaupt alle Vorbereitungen für meinen Abgang zur Schule getroffen wurden.
    Es hätte dies trotz meiner durchaus auf ein »Hinaus« gerichteten Sehnsucht eine herzbewegliche Zeit sein können, aber sie war so ziemlich das Gegenteil davon, und wie mir das ganze zurückliegende Jahr mit wenigen Ausnahmetagen immer nur Fatalitäten, Kränkungen und Niederlagen gebracht hatte, so schloß es auch mit lauter Disharmonien und Ärgernissen ab. Ich war freilich an allem persönlich schuld, aber etwas von Schicksals Tücke spielte doch auch mit hinein.
    »Du wirst nun also Abschiedsbesuche bei dem und dem machen«, sagte mein Vater und übergab mir einen Zettel, darauf die betreffenden Namen standen; der letzte Name war der eines Fräuleins von Hochwächter, welche Dame mit ihrer alten Mutter im Steuerrat Königkschen Hause wohnte. Das Fräulein war eine sehr schöne Dame, Ende dreißig, ganz Brunhilde mit Rembrandthut und Straußenfeder und selbstverständlich auch vorzügliche Reiterin. Ich hatte sie ein paarmal gesehen, aber nie gesprochen. Da sollt ich nun Abschied nehmen. Es war mir sehr zuwider, und kurz und gut, ich unterließ es und sagte nur zu Hause, ich sei dagewesen. Alles in dem Vertrauen, daß es wohl erst herauskommen würde, wenn ich fort wäre. Kam es dann zur Sprache, so hatte das nicht viel mehr zu bedeuten. Es kam jedoch eher heraus, und so hatte ich das Vergnügen, zu guter Letzt noch als Lügner entlarvt zu werden. Ich schämte mich. Aber freilich wohl nicht genug.
    Des Schicksals Tücke hatte mir bei dieser Gelegenheit übel genug mitgespielt, ohne sich jedoch dadurch erschöpft zu fühlen. Das Schlimmste kam vielmehr nach und fiel auf den Tag unmittelbar vor der Abreise. Meine Mutter, in unbegreiflicher Verkennung des sonst so gut von ihr gekannten Charakters meines Vaters, hatte diesen beauftragt, mir zum Abschiede noch eine Standrede zu halten und mich zur Sittlichkeit zu ermahnen. An und für sich war dagegen nichts einzuwenden, und wenn meine Mutter selber die Standrede gehalten hätte, so hätte diese, wenn auch vielleicht nicht viel geholfen, so doch im Augenblicke wenigstens mächtig auf mich gewirkt. Ich hätte ihr die Hände geküßt und unter Tränen ein Festhalten an dem von mir geforderten Gelübde versprochen. Aber statt ihrer trat nun mein Vater an. Er war ein sehr stattlicher und mit seinem schönen Blaubart eigentlich wundervoll aussehender Mann, der typische französische Kürassieroffizier. All das hätte nun auf einen zwölfjährigen Jungen, der sich noch dazu sagen mußte: »Das ist dein Vater«, imponierend wirken müssen. Aber dies war nicht der Fall oder doch nur sehr zur Hälfte. Mein Vater, wie oft große, von besonderer Bonhomie getragene Männer, hatte einen unvertilgbar humoristischen Zug in seinem Gesicht, ein eigentümliches Etwas, das sich gerade dann, wenn er am ernsthaftesten sein wollte, über diesen Ernst zu mokieren schien, wodurch sich das Respekteinflößende der Erscheinung wieder in Frage gestellt sah. Dieser humoristische Zug, sonst seine größte Zierde, wurde mir an diesem Abschiedstage verhängnisvoll, denn mit einem Male, während ich noch so vor ihm stand und die Sittlichkeitsermahnungen gesenkten Auges und eigentlich ohne jedes rechte Verständnis mit anhörte, grinste mich ein mir in meiner kleinen Seele sitzender Kobold, der vorhatte, mich à tout prix zum Lachen zu bringen, teuflisch an. Und es gelang ihm auch. Denn mit einem Male barst es krampfhaft aus mir heraus, nicht viel mehr als ein konvulsivisches Zucken, aber doch immerhin von einem leisen Lacheton begleitet.
    »Junge, ich will doch nicht glauben, du lachst ...«
    »Nein, gewiß nicht,
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