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Meine kaukasische Schwiegermutter

Meine kaukasische Schwiegermutter

Titel: Meine kaukasische Schwiegermutter
Autoren: Wladimir Kaminer
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oberen und mittleren Markt kaufen nur reiche Touristen und Kurorthäschen, die nichts vom wahren Leben, sprich dem unteren Markt, wissen. Die Einheimischen, die Bauern aus den nahegelegenen Dörfern, die arbeitende Bevölkerung der Region – mit einem Wort: alle normalen Menschen – kaufen nur auf dem unteren Markt.
    Der untere Markt ist zum größten Teil illegal, deswegen sieht er von weitem aus wie ein großer Parkplatz. Hier und dort sitzen Omas mit Sonnenblumenkernen, ein paar armenische Gewürztische sind zu sehen und jede Menge Menschen, die so tun, als gingen sie spazieren. Männer mit großen Schnurrbärten laufen in der Menge herum und murmeln:
    »Störe! Störe! Störe!«
    Das sind die Verkäufer aus der Fischabteilung. Wir zwinkerten einmal einem zurück.
    »Ja, Störe!«
    Daraufhin führte uns der Verkäufer, ohne ein Wort zu verlieren, über den Parkplatz zu seinem Minibus, einem roten VW, und öffnete die Heckklappe: In dem Minibus stand seine Frau und hielt einen riesigen Stör in den Händen. Manchmal kann dieser Fisch fast so groß wie ein Kind sein. Natürlich darf man sich bei einem solchen Einkauf nicht dumm stellen und sagen:
    »Danke schön, ich hätte gerne zweihundert Gramm vom Bauch, klein geschnitten, bitte sehr.«
    Es ist klar, der Fisch muss ganz gekauft werden oder mindestens zur Hälfte. Weil die Menschen im Kaukasus nach wie vor in großen Familien leben, die sich über drei Generationen erstrecken und dazu viele Katzen und andere fischfreundliche Haustiere in ihren Gärten dulden, ist es ein Leichtes für sie, an einem Abend einen ganzen Stör zu verzehren. Aus dem Kopf und den Kiemen wird die Ucha, die Fischsuppe, gekocht, der Rest in kleine Stücke zerlegt, mit Zwiebeln, Salz und Zitronensaft vermischt, schließlich auf einem speziellen Gitter befestigt und abends zum Wein gegrillt. Selbstverständlich ist der Stör vom unteren Markt sehr frisch und auf Kilos umgerechnet preiswerter als Schweinefleisch, das in der Region nicht besonders beliebt ist.
     

 
8 -
Die kaukasische Diät
     

     

Überall wird im Kaukasus gekocht und gegessen. Überall wird Brot gebacken, überall riecht es nach Schaschlik. Allein schon der Gedanke an diese kaukasische Küche versetzt mich in eine hungrige Laune, die das ruhige, ausgewogene Schreiben unmöglich macht. Deswegen muss ich kurz in die Küche, bevor ich hier weitermache …
    Also, wie ich schon andeutete, im Kaukasus wird nicht nur an speziell dafür eingerichteten Orten und mit Erlaubnis des Gesundheitsamtes, wie in Deutschland, sondern überall und von jedem, der will, Essen zubereitet. Überall stehen Köche. Zwischen den Verkaufsreihen auf dem Markt, in Sackgassen, hinter Zeitungskiosken, auf Parkplätzen, an Bushaltestellen und vor den Ämtern – überall, wo Menschen lange warten müssen und möglicherweise Hunger bekommen könnten. Eigentlich haben die Kaukasier immer Hunger, deswegen müssen sie ständig irgendwas essen. Auf jeder schönen Straße, wo zwei Bänke stehen, braten irgendwelche Rentner ihre Teigtaschen in Fleischsaft, essen sie, verkaufen sie, lesen dabei Zeitung, trinken Alkohol und streicheln vorbeistreunende Hunde. Und das alles ohne weißes Tischtuch, ohne einen Toilettenraum, wo sie sich die Hände waschen könnten.
    Zuerst begegnete ich dieser Volksgastronomie mit großem Misstrauen. Unhygienisch, gefährlich, wild, dachte ich. Wer weiß, was diese komischen Alten alles in ihre Teigtaschen gehackt haben. Lange Zeit mied ich solche Volksküchen, obwohl dort alles sehr ansprechend roch und noch besser aussah. Einmal war aber der Hunger größer als die Vorsicht, und ich kaufte mir etwas zu essen auf der Straße. Was kann mir schon passieren?, beruhigte ich mich selbst. Im schlimmsten Fall kaufe ich mir eine neue Hose. Und dann stellte ich mit Erstaunen fest, dass diese kaukasische unhygienische Küche tausendmal besser schmeckte als die saubere deutsche. Es geht dabei nicht um Geschmacksvorlieben, die dortige öffentliche Gastronomie befindet sich einfach auf unvergleichlich höherem Qualitätsniveau als ihre handgewaschene deutsche Schwester. Ein Paradox. Zuerst habe ich das auf die Exotik, auf die frische Luft, die alles besser schmecken lässt, auf die Natürlichkeit der Produkte, auf die teuflischen Gewürze zurückgeführt. Doch letzten Endes musste ich feststellen: Es liegt einfach am Selbstverständnis und der Hingabe der kaukasischen Köche. Diese Menschen haben einen Ruf zu verteidigen. Ihre Autorität
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