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Meine gute alte Zeit - Teil I

Meine gute alte Zeit - Teil I

Titel: Meine gute alte Zeit - Teil I
Autoren: Agatha Christie
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junges Mä d chen.
    Ein wenig gekränkt erwidere ich, dass ich nun so alt auch nicht bin. Desgleichen verwahre ich mich mit En t rüstung dagegen, beim Ind i schen Aufstand dabei gewesen zu sein. Wohl aber gebe ich zu, dass mein G e dächtnis bis zum Burenkrieg zurückreicht – denn schließlich hat mein Bruder daran teilg e nommen.
    Das erste deutliche Bild, das in meiner Erinnerung au f taucht, ist das eines Markttags, an dem ich mit meiner Mutter durch die Straßen von Dinard gehe. Ein Junge mit einem großen, vollen Korb rennt in mich hinein, schürft mir die Haut am Arm und stößt mich beinahe um. Es tut weh. Ich fange an zu weinen. Ich bin, glaube ich, etwa sieben Jahre alt.
    Meine Mutter, die Wert auf Haltung in der Öffentlic h keit legt, weist mich zurecht: »Denk an unsere tapferen Soldaten in Südafrika!«
    »Ich will kein tapferer Soldat sein«, plärre ich. »Ich will viel lieber feige sein!«
    Was bestimmt die Auswahl von Erinnerungen? Das Leben zieht vorbei wie Bilder auf einer Leinwand. Schnipp! Hier bin ich, ein Kind, das an seinem G e burtstag Eclairs isst. Schnapp! Zwei Jahre sind vergangen, ich sitze auf Großmutters Schoß, werde feierlich zurech t gemacht wie ein Huhn vor dem Braten und kann mich kaum halten vor Lachen über di e sen spaßigen Vergleich.
    Es sind nur Augenblicke – dazwischen liegen lange Zeiträ u me von Monaten oder sogar Jahren. Wo war man damals? Ich muss an Peer Gynts Frage denken: »Wo war ich, ich, der ganze Mensch, der wahre Mensch?«
    Den ganzen Menschen lernen wir nie kennen, doch a h nen wir gel e gentlich, in einem kurzen Augenblick, den wahren. Und diese Momen t aufnahmen, glaube ich, sind das, was unsere Erinnerungen au s macht, denn mögen sie auch unbedeutend scheinen, so stellen sie doch der Seele Innerstes und das wahre Ich dar, wie es wirklich ist.
    Ich bin heute der gleiche Mensch wie jenes ernste kleine Mädchen mit den flachsblonden Ringellocken. Das G e häuse, in dem unser Geist herbergt, wächst und entw i ckelt Instinkte, Neigungen, Empfindungen und intelle k tuelle Fähigkeiten, aber ich, die wahre Agatha, bin die gleiche. Die ganze Agatha kenne ich nicht. Die kennt, so glaube ich, nur Gott allein.
    Da sind wir also alle, die kleine Agatha Miller, die große Agatha Miller, Agatha Christie und Agatha Mallowan; wir g e hen unseren Weg – wohin? Das weiß man nicht – und natü r lich ist es gerade das, was unser Leben so spannend macht. Ich habe das Leben immer spa n nend gefunden und finde es heute noch so.
    Weil wir so wenig davon wissen – nur die eigene kleine Rolle – kommt man sich wie ein Schauspieler vor, der im ersten Akt bloß ein paar Sätze zu sprechen hat. Er hat nur einen maschinengeschriebenen Text mit den Stic h worten; mehr weiß er nicht. Er hat das Stück nicht gel e sen. Warum sollte er auch? Er hat nichts weiter zu sagen als: »Die Pferde sind gesattelt, M a dam.« Dann fällt er der Vergessenheit a n heim.
    Wenn sich am Tag der Vorstellung der Vorhang hebt, hört er das ga n ze Stück, und mit den anderen tritt auch er am Schluss an die Rampe und dankt für den Applaus.
    Teil zu sein von etwas, das man überhaupt nicht ve r steht, ist, so meine ich, einer der faszinierendsten Aspekte des Lebens.
    Ich lebe gern. Ich bin manchmal völlig verzweifelt, fürchterlich u n glücklich und von Leid gequält gewesen, aber ich habe dennoch i m mer das sichere Gefühl gehabt, dass schon allein am Leben zu sein eine gro ß artige Sache ist.
    So habe ich nun also vor, die Freuden der Erinnerung zu g e nießen und, ohne mich zu beeilen, hin und wieder ein paar Seiten zu schre i ben – eine Arbeit, die vermutlich Jahre dauern wird. Aber warum spreche ich von Arbeit? Es ist die Befried i gung eines Wunsches. Ich sah einmal eine alte chinesische Schriftrolle, die mir sehr gut gefiel. Ein Mann war darauf zu sehen, der unter einem Baum saß und mit Bindfaden Figuren formte. Die Überschrift lautete: »Alter Mann, die Freuden der Muße genießend.« Ich habe es nie vergessen.
    Nachdem nun klargestellt ist, dass ich die Freuden der Erinnerung zu genießen gedenke, sollte ich vielleicht b e ginnen. Und obwohl ich nicht glaube, dass es mir mö g lich sein wird, streng chronologisch vorzugehen, kann ich wenigstens vers u chen, am Anfang anzufangen.

Erstes Kapitel

Eine glückliche Kindheit
    O! ma chère maison; mon nid, mon gîte
    Le passé l’habite…O ma chère maison
     
    E ine glückliche Kindheit zu haben, ist eines der wertvollsten Dinge,
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