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Meine gute alte Zeit - Teil I

Meine gute alte Zeit - Teil I

Titel: Meine gute alte Zeit - Teil I
Autoren: Agatha Christie
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a b nehmen. Irgendwie verlor sie damit ihren offiziellen St a tus und wurde zur Privatperson. Mit größter Vorsicht knüpfte ich ihr dann ein bre i tes blaues Seidenband ins Haar – mit angehaltenem Atem, denn für eine Vierjährige ist es keine leichte Sache, eine Schleife zu binden. Dann trat ich einen Schritt zurück und rief begeistert: »Oh, Nursie, du bist wunderschön!«
    Worauf sie lächelte und mit ihrer sanften Stimme erw i derte: »Bin ich das, mein Schätzchen?«
    Nach dem Tee wurde ich in ein gestärktes Musselin k leid g e steckt und ging in den Salon hinunter, um Mutter Gelegenheit zu geben, mit mir zu spielen.
    Der Reiz von Nursies Geschichten lag darin, dass es immer diese l ben waren, sodass Nursie das beständige Element in meinem Leben darstellte, während Mutter mich damit bezauberte, dass sie immer neue G e schichten erzählte, und dass wir fast nie dasselbe Spiel zweimal spielten. Eine Geschichte, eri n nere ich mich, handelte von einer Maus namens Hellauge. Hellauge hatte ve r schiedene Abenteuer zu bestehen, aber eines Tages teilte Mutter mir zu meinem Leidwesen mit, dass es keine G e schichte von Hellauge mehr zu erzählen gab. Ich war den Tränen nahe, als Mutter sagte: »Aber ich werde dir eine Geschichte von einer sonde r baren Kerze erzählen.« Ich bekam zwei Kapitel von der »sonderbaren Kerze« zu h ö ren – eine Art Detektivg e schichte, wenn ich mich recht entsinne –, als wir unglücklicherweise Hausgäste bek a men, sodass Spiele und Geschichten vorübergehend in Vergessenheit gerieten. Als die B e sucher wieder gingen und ich das Ende der Geschichte zu hören begehrte – sie war im aufregendsten Moment unterbr o chen worden, als der Bösewicht gerade Gift in die Kerze rieb –, sah Mutter mich verständnislos an und schien die Sache völlig ve r gessen zu haben. Diese Fragment gebliebene Geschichte geht mir immer noch im Kopf herum.
    Ich habe nur wenige Erinnerungen an meine Geschwi s ter, was vermu t lich damit zusammenhängt, dass sie im Internat waren. Mein Bruder war in Harrow, meine Schwester in Brighton in der Miss Lawre n ces’ School. Mutter wurde als äußerst fortschrittlich angesehen, weil sie ihre Tochter in ein Pensionat schickte, und Vater als äußerst großzügig, weil er es gestattete. Aber Mutter lie b te es, Experimente anz u stellen.
    Ihre eigenen Experimente hatten hauptsächlich mit Fragen des Gla u bens zu tun. Ihr war, glaube ich, eine von Natur aus mystische Sinnesha l tung zu eigen. Um ein Haar wäre sie in die katholische Kirche aufg e nommen worden, vollzog dann eine Schwenkung zum Un i tarismus (was die Tatsache verständlich macht, dass mein Bruder nie g e tauft wurde), wandelte sich in der Folge zu einer ang e henden The o sophin, fasste aber eine Abneigung gegen Mrs Besant, als sie sie predigen hörte. Nac h dem sie sich kurz, aber intensiv mit dem Zoroastrismus b e schäftigt hatte, kehrte sie, zu Vaters großer Erleichterung, in den sicheren Hafen der englischen Staatskirche zurück. Auf ihrem Nachttisch stand ein Bild des Heiligen Franz, und in der Nachfolge Christi las sie Tag und Nacht. Das gleiche Buch liegt auch immer n e ben meinem Bett.
    Vater war ein strenggläubiger Christenmensch von harmlosem G e müt. Er sprach jeden Abend seine Gebete und ging jeden Sonntag zur Kirche. Seine Einstellung zur Religion war von Sachlichkeit und Nüchternheit geprägt und von keinerlei weltbewegenden Zweifeln getrübt – aber wenn Mutter schm ü ckendes Beiwerk vorzog, sollte ihm auch das recht sein. Wie ich schon sagte: Er war ein sehr liebenswü r diger Mann.
    Ich glaube, er fühlte sich erleichtert, als Mutter noch rechtzeitig in den Schoß der englischen Staatskirche z u rückkehrte, um es möglich zu machen, mich in der Pfar r kirche taufen zu lassen. Ich erhielt die Namen Mary nach meiner Großmutter, Clarissa nach meiner Mutter, und – einer Überlegung in letzter Minute folgend – Agatha. Eine Freundin von Mu t ter machte ihr diesen Vorschlag auf dem Weg zur Kirche, sie meinte, es wäre ein hü b scher Name.
    Meine eigenen religiösen Ansichten übernahm ich hauptsächlich von Nursie. Sie war Bibelchristin, ging d a her nicht zur Kirche und las ihre Bibel daheim. In meiner Überzeugung, der göttlichen Gnade teilhaftig geworden zu sein, legte ich eine geradezu unerträgliche Überhe b lichkeit an den Tag. Ich we i gerte mich, am Sonntag zu spielen, zu singen oder auf dem Klavier zu klimpern, und sorgte mich ganz furchtbar um das
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