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Meine gute alte Zeit - Teil I

Meine gute alte Zeit - Teil I

Titel: Meine gute alte Zeit - Teil I
Autoren: Agatha Christie
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warst? Du hast ganz umsonst geweint. Weine nie über etwas, bevor du ganz sicher bist.«
    Ich versprach ihr, dass ich das nie wieder tun würde.
     
     
    3
     
    Die überragende Gestalt in meiner frühen Kindheit war Nursie. Und unser beider Welt war das Kinderzimmer.
    Ich sehe die Tapete noch vor mir – malvenfarbige Schwertlilien, die sich die Wände hochrankten. Ich pfle g te im Bett zu liegen und sie im matten Schein von Nu r sies Öllampe auf dem Tisch zu betrachten. Ich fand das Mu s ter wunderschön. Ich habe mein Leben lang eine Schwäche für Mauve g e habt.
    Nursie saß am Tisch und nähte oder flickte. Rund um mein Bett stand ein Paravent, und ich sollte längst schl a fen, aber ich war meistens wach, bewunderte die Schwer t lilien, versuchte herau s zubekommen, wie genau sie sich ineinander verflochten, und dachte mir neue Abenteuer für die Kätzchen aus. Um halb zehn brachte Susan das Tablett mit dem Abendessen für Nu r sie herauf. Susan war ein großes, breitschultriges Mädchen, schwerfällig und tapsig in ihren Bewegungen, und neigte dazu, Dinge umzuwerfen. Sie führte mit Nursie ein kurzes Gespräch im Flüsterton, und als sie gegangen war, kam Nursie und guc k te über den Paravent.
    »Ich dachte mir doch, dass du noch wach sein würdest. Du willst wohl ein Stück kosten, nicht wahr?«
    »Ach ja, bitte, Nursie.«
    Ein köstlicher Bissen saftigen Steaks wurde mir in den Mund g e steckt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Nursie jeden Tag Steak zum Nach t mahl hatte, aber in meiner Erinnerung ist es immer Steak.
    Eine andere wichtige Persönlichkeit im Haus war Jane, unsere Köchin, die mit der gelassenen Überlegenheit e i ner Königin über ihr Reich herrschte. Sie war Küche n mädchen gewesen, als sie, eine schlanke Neunzehnjähr i ge, zu meiner Mutter kam. Sie blieb vierzig Jahre bei uns und wog mindestens fünfundneu n zig Kilo, als sie uns verließ. In dieser ganzen Zeit ließ sie nie eine Gefühlsr e gung erkennen, doch als sie endlich dem Drä n gen ihres Bruders nachgab, nach Cornwall zu kommen und ihm den Haushalt zu führen, rollten beim Abschied dicke Tr ä nen über ihre Wangen. Sie nahm einen Koffer mit – vermu t lich den gleichen, mit dem sie gekommen war. In all diesen Jahren hatte sie keine Besitztümer erworben. Sie war, aus heutiger Sicht gesehen, eine wunderbare K ö chin, aber Mutter klagte gelegen t lich darüber, dass sie keine Fantasie hätte.
    »Ach, du liebe Zeit, was wollen wir denn heute Abend zum Nac h tisch machen? Schlagen Sie doch etwas vor, Jane.«
    »Wie wäre es mit einem schönen Steinpudding, Ma’am?«
    Steinpudding war das einzige, was Jane jemals vo r schlug, aber aus i r gendeinem Grunde reagierte Mutter allergisch darauf und sagte nein, das wollten wir nicht haben, lieber etwas and e res. Ich weiß bis heute nicht, was ein Steinpudding ist. Mutter wusste es auch nicht – sie meinte, es klänge einfach fade.
    Als ich Jane »kennen lernte«, war sie schon massig – die dickste Frau, die ich je gesehen habe. Sie hatte ein glattes Gesicht und trug ihr Haar in der Mitte gescheitelt – sch ö nes, n a türlich lockiges Haar, im Nacken zu einem Knoten gerafft. Ihre Kinnbacken waren ständig in Bewegung, weil sie immer etwas aß – einen Tortenrest, einen frischen Teekuchen, ein Plätzchen. Sie kam mir vor wie eine große sanftmütige Kuh, die une r müdlich wiederkäute.
    In der Küche wurde herrlich geschmaust. Nach einem reichlichen Frühstück gab es um elf einen köstlichen K a kao und dazu eine Schüssel mit frischen Plätzchen und Korinthenbrötchen oder vielleicht heißem Marmeladeg e bäck. Das Mittage s sen begann, nachdem wir das unsere beendet hatten, und bis drei Uhr war die Küche tabu. Mutter gab mir die strikte A n weisung, die Küche unter keinen Umständen zu betreten, wenn dort gegessen wu r de: »Die Zeit gehört ihnen, und wir dürfen sie dabei nicht stören.«
    Das Personal leistete unglaublich viel Arbeit. Für Jane gehö r te es zur täglichen Routine, für sieben oder acht Personen Mahlzeiten mit fünf Gängen zu kochen. Bei großen Dinnerpartys für zwölf oder mehr Gä s te gab es für jeden Gang eine Alternative – zwei Suppen, zwei Fischgerichte, etc. Das Hau s mädchen putzte etwa vierzig Silberrahmen, dazu silberne To i lettengarnituren, füllte und leerte ein tragbares »Sitzbad« (wir hatten zwar ein Badezimmer, aber Mutter empfand es als Z u mutung, eine Wanne zu benützen, die schon andere benützt hatten), brachte
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