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Meine gute alte Zeit - Teil I

Meine gute alte Zeit - Teil I

Titel: Meine gute alte Zeit - Teil I
Autoren: Agatha Christie
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die einem im Leben passi e ren können. Ich hatte eine sehr glückliche Kin d heit. Ich hatte ein schönes Zuhause und einen Garten, den ich liebte; eine weise und geduldige Kinde r frau; einen Vater und eine Mutter, die einander vergötterten, eine ausgezeichnete Ehe führten und wunderbare Eltern w a ren.
    Wenn ich zurückblicke, habe ich das Gefühl, dass unser Haus ein wirklich glückliches Haus war. Das lag vo r nehmlich an meinem Vater, denn er war ein sehr lieben s würdiger Mann. Die Eigenschaft der Liebenswü r digkeit wird heutzutage nicht sonderlich hoch eing e schätzt. Die Leute wollen eher wissen, ob ein Mann klug und fleißig ist, ob er zum Wohl der Gemei n schaft beiträgt, ob er in der Ordnung der Dinge »zählt«.
    Nach heutigen Vorstellungen würde man wohl keine sehr hohe Meinung von meinem Vater haben. Er war ein Nichtst u er. Zu seiner Zeit privatisierte man, und wenn man über ein eigenes Vermögen verfügte, arbeitete man nicht. Zudem vermute ich stark, dass Arbeit meinem V a ter nicht besonders gel e gen hätte.
    Jeden Morgen verließ er das Haus in Torquay und b e gab sich in se i nen Club. In einer Kutsche kehrte er zum Mittagessen zurück. A n schließend eilte er abermals in den Klub, spielte den ganzen Nachmi t tag Whist und war rechtzeitig wieder daheim, um sich zum Dinner umziehen zu können. In der Sommersaison verbrachte er seine T a ge im Cricket Club, de s sen Präsident er war. Gelegentlich organisierte er auch Liebhaberaufführu n gen. Er besaß eine ungeheure Zahl von Freunden und liebte es, sie als Gäste bei sich zu sehen. Wir hatten jede Woche eine gr o ße Dinne r party daheim, und für gewöhnlich dinierten er und Mutter zwei- oder dreimal in der Woche auswärts.
    Erst später wurde mir klar, wie beliebt er war. Nach seinem Tod kamen Briefe aus aller Welt. Und die Han d werker der Stadt, Kutscher, A n gestellte – immer wieder trat irgendein alter Mann auf mich zu und sagte: »Ach, ich erinnere mich noch gut an Mr Miller. Ich werde ihn nie verge s sen. Heutzutage gibt es nicht mehr viele wie ihn.«
    Dabei hatte er keine hervorstechenden Eigenschaften. Er war nicht besonders intelligent. Ich denke, er hatte ein schlic h tes und gutes Herz und zeigte echtes Interesse an seinen Mitmenschen. Er besaß einen ausg e prägten Sinn für Humor, und es fiel ihm leicht, die Leute zum Lachen zu bringen. Es war nichts Niedriges an ihm, er kannte keinen Neid, und er war unglaublich großzügig. Er besaß natürliche Frö h lichkeit und heitere Gelöstheit.
    Meine Mutter war ganz anders: eine fesselnde, nicht leicht zu durc h schauende Persönlichkeit, zielbewusster als mein Vater, überraschend originell in ihrer Denkweise, in quälende He m mungen verstrickt und im Grunde ihres Herzens, glaube ich, von einer angeborenen Schwe r mut befangen.
    Dienstboten und Kinder waren ihr herzlich zugetan und gehorchten ihrem leisesten Wink. Sie hätte eine au s gezeichnete Erzieherin abgeg e ben. Was immer sie sagte, für uns war’s sogleich packend und bedeutsam. Wiede r holungen langweilten sie, und sie sprang in einer Weise von einem Thema zum and e ren, dass sich die Fäden eines Gesprächs zuweilen verwirrten. Vater pflegte ihr vorz u werfen, sie hätte keinen Humor. Dann protestierte sie in gekränktem Ton: »Nur weil ich gewisse G e schichten von dir nicht komisch finde, Fred …«, und Vater brüllte vor Lachen.
    Sie war etwa zehn Jahre jünger als er und hatte ihn schon als zehnjähr i ges Kind hingebungsvoll geliebt. In der Zeit, da er als flotter ju n ger Mann zwischen New York und Südfrankreich hin- und herflatterte, war sie, ein schüchternes, stilles Mä d chen, daheim gewesen, hatte an ihn gedacht, hin und wieder ein Gedicht in ihr Poesiea l bum geschrieben und eine Brieft a sche für ihn bestickt. Übrigens behielt Vater diese Brieftasche sein Leben lang.
    Eine typisch viktorianische Liebesgeschichte, hinter der aber eine re i che Fülle tiefer Gefühle steckte.
    Ich interessiere mich für meine Eltern nicht nur, weil sie meine Eltern waren, sondern auch, weil sie etwas überaus Se l tenes zu Stande brachten: eine glückliche Ehe. Bis zum heutigen Tage habe ich nur vier wirklich erfol g reiche Ehen gesehen. Gibt es ein Rezept für diese Art von Erfolg? Ich glaube kaum.
    Meine Mutter, Clara Boehmer, hatte selbst keine sehr glückliche Kin d heit. Bei einem Sturz vom Pferd erlitt ihr Vater, ein Offizier im Argyll Highlanders Regiment, tö d liche Verletzu n gen, und meine
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