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Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde

Titel: Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde
Autoren: Suzanne Crowley Knut Krueger
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seiner Hydrokultur zurück.
    Offenbar habe ich so laut gebrüllt, dass ich noch in Whiskey zu hören war, denn eines Tages stand meine alte Säuglingsschwester, Veraleen Holliday, mit breitem Lächeln in der Tür. Sie hatte einen Majonäsebehälter dabei, der mit Mondscheinwasser und frischem Kleehonig gefüllt war, eine Mischung, die angeblich wahre Wunder bewirken könne. Später warf Grandma Birdy den Behälter mit der Bemerkung in den Müll, sie würde nicht noch einmal zulassen, dass eine übergeschnappte Bäuerin bei uns ihren Voodoo veranstaltete.
    Mama hat mir erzählt, dass Grandma sofort in die Küche geeilt war, um ihr eigenes Allheilmittel, einen Sud aus Roter Bete und Minze, zusammenzubrauen. Sie versicherte Mama, dass ich in dieser Nacht wie ein Murmeltier schlafen würde, doch nachdem ich eine Flasche getrunken hatte, spuckte ich im Wohnzimmer alles wieder aus. Ich glaube, das hat mir Grandma nie verziehen.
    Dr. Wilson erklärte schließlich, dass die »Drähte« in meinem Gehirn auf eine besondere Weise miteinander verbunden wären.
Der Mann hat bestimmt recht. Manchmal stelle ich mir das Chaos meiner Gehirndrähte vor und wünschte, ich hätte mein eigenes Allheilmittel, um sie wieder zu entwirren. Wenn ich die wenigen Fotos aus meiner frühen Kindheit betrachte, dann fällt mir auf, dass alle immer total erschöpft wirken und sich mit zusammengepressten Lippen ein Lächeln abringen. Grandma meint, wir sähen aus wie wiederkäuende Esel. Ich heule auf jedem Foto, mein Gesicht ist verzerrt, knallrot und hässlich.
    Mama hatte nie den Mut, ein Album mit Babyfotos von mir zusammenzustellen. Ich kann ihr das nicht vorwerfen. Wer will schon an all das erinnert werden? Von Bug gibt es natürlich so ein Album. Es ist voller Fotos, auf denen alle lächeln. Außer mir. Bug sagt, ich sähe aus, als starre ich ins große Nichts. Und tatsächlich geht mein Blick auf allen Bildern ins Leere (sofern ich nicht brülle). Ich wirke stets ausdruckslos und unbeteiligt, wie nicht von dieser Welt oder wie jemand, dem ein kurzes Leben beschieden ist.
    Um Mama auf andere Gedanken zu bringen, erzählte ihr Dr. Coyote Wilson die kleine Anekdote, wie er zu seinem ungewöhnlichen Namen gekommen war. Auch er hatte als Baby so herzzerreißend geschrien, dass sich drei Coyoten im Halbkreis vor seinem Schlafzimmerfenster versammelten und in sein Heulen einfielen. Seine Mutter, die echtes Apachenblut hat, wusste in diesem Moment, dass ihm ein großes Schicksal vorherbestimmt sei. Und vielleicht würde ja auch ich einst ein Arzt werden, so wie Dr. Wilson, meint Mama.
    Offenbar glaubt sie diese Geschichte wirklich, weil sie sie so oft erzählt. Sie sagt, sie wisse genau - so wie die Mutter von Dr. Wilson -, dass sich bei mir alles zum Guten wenden werde.
     
    Ich radelte weiter dem Stadtrand entgegen, wo die Häuser ein wenig ungepflegter und heruntergekommener sind. Die Rasenflächen sind ungemäht und unkrautüberwuchert und in
den Vorgärten liegt kaputter, verrosteter Krempel herum. Mein Magen knurrte mich an. Ich war hungrig, weil ich mein Mittagessen versäumt hatte - ein Erdnussbutter-Marmeladen-Sandwich und eine Gewürzgurke -, das ich normalerweise auf dem Weg zum Wertstoffhof zu mir nehme. Nun war ich gezwungen, es bei Onkel Dal zu verputzen.
    Onkel Dal ist voller Geheimnisse. Manchmal versuchen die Leute, etwas aus mir herauszukriegen: »Wo war er denn in all den Jahren?« Oder: »Hat Dal vielleicht eine Freundin in Whiskey?« Oder: »Was soll das eigentlich für eine Statue werden?« Doch mein Mund ist verschlossen mit sieben Siegeln. Was sollte ich ihnen auch erzählen? Ich habe Onkel Dal nie nach diesen Dingen gefragt, und hätte ich es getan, hätte er mir nicht geantwortet.
    Darum sind wir auch so ein gutes Team. Wir haben unzählige Stunden miteinander verbracht, ohne ein einziges Wort zu wechseln. Eine perfekte Stille, in der nur sein sanftes Pfeifen hin und wieder zu hören ist.
    Allerdings weiß ich eine Menge Geheimnisse über andere Leute in Jumbo. Ich bin eine gute Zuhörerin und halte Augen und Ohren stets offen - so wie der herrenlose Hund, den hier alle füttern, weil sie glauben, sie seien die Einzigen. Es ist schon erstaunlich, was die Leute einem so alles erzählen, während sie an einem Tootsie Pop lutschen. Eigentlich verteile ich die Lollis, damit die Leute den Mund halten und mich in Ruhe lassen, doch stattdessen lösen sie ihre Zungen.
    Als ich das Grundstück von Onkel Dal erreichte, stellte ich
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