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Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde

Titel: Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde
Autoren: Suzanne Crowley Knut Krueger
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ihn mitgebracht«, erklärte Onkel Dal. »Er hat mir erzählt, dass ihr Freunde seid.«
    Ich warf Onkel Dal einen missbilligenden Blick zu. Er weiß ganz genau, dass ich keine Freunde habe und auch keine haben will. Er selbst hat schließlich auch keine Freunde. Nur mich. Normalerweise empfinde ich keine starken Emotionen, weder in die eine noch in die andere Richtung, doch in diesem Moment hatte ich eine Riesenwut im Bauch.
    »Weißt du, dass jeder einen unverwechselbaren Zungenabdruck hat?« Der Junge streckte wie zum Beweis seine lange lilafarbene Zunge heraus und bewegte sie hin und her.
    Onkel Dal lachte und strich ihm liebevoll über den Kopf. Ich traute meinen Augen nicht.
    »Kommt mit, ihr beiden! Ihr könnt mir in der Scheune helfen. Wie heißt du eigentlich?«
    »Biswick O’Connor, Sir«, antwortete der Junge, während er Onkel Dal folgte. »Ich bin Ire, wir kommen aus Boston. Mein Vater ist zu Hause und schläft. Außerdem habe ich eine neue gestreifte Badehose. Gibt es hier irgendwelche Schwimmbäder? Daddy meinte, ich sollte mir eines suchen und den ganzen Tag dortbleiben.«
    Ich stapfte hinter Biswick her. Mit einem Anflug von Schadenfreude
dachte ich daran, welchen Spitznamen sie ihm hier in Jumbo verpassen würden: Bisquick. Oder Biskuit. Pfannkuchen. Waffel. Ha!
    Wir schritten auf Onkel Dals rot gestrichene Scheune zu, in der er an seiner Statue arbeitet. Die Scheune war vor hundertfünfzig Jahren von einem Weizenfarmer namens Obedias Cuernavaca errichtet worden. Es heißt, der karge Boden habe ihm nur wenig Glück gebracht, also sei er Steinmetz geworden und habe all die Grabsteine für den alten Friedhof hergestellt.
    Da Onkel Dal weder Frau noch Kinder hat, ist die Arbeit in der Scheune zum Mittelpunkt seines Lebens geworden. Ich kann das gut nachvollziehen. Auch ich werde niemals heiraten; diese Gefühlsduselei ist doch was für Schwachköpfe. Aber ich möchte eines Tages von hier fortgehen, weit weg, vielleicht nach New York oder sogar nach England, wo mir niemand auf die Nerven geht.
    Normalerweise sitze ich in der Scheune immer direkt neben Onkel Dal, während dieser in den Anblick seiner Statue versunken ist und grübelt. Oft ist das alles, was er tut. Grübeln. Manchmal grübelt er im Stehen und manchmal grübelt er im Sitzen. Das tut er dann in einem damastbezogenen Ohrensessel, den Mama bei einem Nachlassverkauf für ihn erworben hat. Manchmal pfeift er, manchmal auch nicht. Wenn es ein guter Tag ist, dann streckt er seine Hand aus, und ich reiche ihm eines von Obedias’ alten Werkzeugen, die ich in penibler Ordnung auf einem antiken Tisch aufgereiht habe. Doch heute war Biswick schon vorausgeeilt und ließ sich fröhlich und entspannt auf den alten Melkschemel plumpsen, auf dem ich sonst immer sitze. Am liebsten hätte ich die Arme ausgestreckt, ihm sein Gesicht zurechtgerückt und seine hängenden Ohren nach oben gezogen.
    »Was ist das?«, fragte Biswick, indem er auf Onkel Dals Statue zeigte. Onkel Dal reagierte nicht. Vor dem großen Marmorblock
stehend, den Zeigefinger an den Lippen, war er schon wieder tief in sich gekehrt.
    Als Onkel Dal damals auftauchte, nachdem er viele Jahre verschwunden gewesen war, lag auf der Ladefläche seines Pick-ups ein knapp zwei Meter hoher weißer Marmorblock, der in den nächsten Wochen das Stadtgespräch war. Seitdem steht er hier auf dem staubigen strohbedeckten Boden mitten in der Scheune. Und in all diesen Jahren ist nichts als der Ewige Fuß entstanden. In regelmäßigen Abständen kommen die Leute hierher, um ihn sich anzusehen, und schließen Wetten ab, was aus dem Ganzen mal werden soll. Manche sagen, es handele sich um Bigfoot, den legendären Riesenaffen. Andere meinen, es handele sich um die Venus von Milo oder die Freiheitsstatue. Sogar Davy Crockett und Sam Houston wurden schon ins Spiel gebracht. Und natürlich wollen alle wissen, was ich darüber denke, aber ich weiß es auch nicht.
    »Was machen wir jetzt, Hug?«, fragte Biswick.
    »Pst!«, entgegnete ich. »Nicht Hug«, fügte ich hinzu, während ich Onkel Dal zuversichtlich einen Meißel reichte. Er schaute mich fragend an, die Stirn in Falten gelegt.
    »Nicht Hug? Wie denn sonst?«, fragte Biswick, während er mit einem Finger in seinem Ohr pulte.
    »Merilee. Schauerlich.« Ich hasse meinen Namen. Hasse ihn.
    »Gibt es hier in der Nähe irgendwelche Schwimmbäder, Onkel Dal? Mein Daddy meint, dass in diesem Kaff sonst nichts los ist.«
    Na, toll. Jetzt sagt er zu meinem Onkel
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