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Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde

Titel: Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde
Autoren: Suzanne Crowley Knut Krueger
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Antwort.
    »Keine Zeit«, sagte ich und zeigte auf meine Uhr. Mit diesen Worten drückte ich ihm einen lila Tootsie Pop in die Hand. »Zeitplan. Pünktlich.«
    Er sah mich verwirrt an, aber ich hatte jetzt keine Zeit für Erklärungen. Mir war schwindelig. Der Bürgersteig begann zu schwanken. Für ein paar Sekunden trat ich mit geschlossenen Augen in die Pedalen, um mein Gleichgewicht wiederzufinden. Als ich sie öffnete, sah ich im Rückspiegel, dass er immer noch auf dem Bürgersteig stand. Der Lolli hing an seiner Hand herunter, ungeöffnet.
     
    Die Samstage sind ganz besondere Tage für mich, weil ich an ihnen Onkel Dal besuche, Daddys Bruder. Er lebt am nördlichen Stadtrand in einem verrosteten Wohnwagen. Seit sieben Jahren arbeitet er auf seinem winzigen Grundstück an einer Marmorstatue. Doch alles, was er bis jetzt zustande gebracht hat, ist ein Fuß. Ich nenne ihn den Ewigen Fuß.
    Onkel Dal ist einer der wenigen Leute, mit denen ich gerne zusammen bin. Er und Mama und manchmal Daddy. Onkel Dal ist ein bisschen so wie ich, daher kommt das wohl. Er war der Einzige, der Glück mit mir hatte, als ich ein schreiendes Baby war und alle um den Verstand gebracht habe. Immer wenn er sich mal wieder bei uns blicken ließ, schaffte er es, mich zu beruhigen. Ich mag die Vorstellung, dass er nur wegen mir kam. Er nahm mich jeden Tag für ein paar Minuten
auf den Schoß, befreite mich von den Tüchern, in die mich Grandma Birdy wie eine Mumie eingewickelt hatte, und pfiff mir ein sanftes Lied vor, das so alt war wie die Chitalpi Mountains. Ich blickte in seine Augen, die so leuchtend und klar sind wie ein blauer Sommerhimmel. Mama lag erschöpft in ihrer Badewanne mit den eisernen Tigerklauen und ließ sich für fünfzehn friedliche Minuten einweichen - wie sie das auch mit Pinto-Bohnen macht -, bevor das Geschrei wieder losging.
    Als ich erneut in den Rückspiegel blickte, sah ich, dass der Junge nicht mehr auf dem Bürgersteig stand. Gut so. Ich war ihm entwischt. Ich wollte nicht, dass er meine Zeit mit Onkel Dal beeinträchtigte. Mein Herz beruhigte sich wieder, schlug langsam und rhythmisch, während ich auf meinem Dreirad Onkel Dals Wohnwagen entgegenrollte.

Zweites Kapitel
    G randma Birdy meint, ich sei schon vom Tag meiner Geburt an gezeichnet gewesen. Ob von Gott oder vom Teufel, hat sie nie dazugesagt. Angeblich sei ich vom gleichen Schlag wie ihr Großonkel Biedermeyer, der mitten in der Nacht von Männern in weißen Kitteln abgeholt worden war, weil er vier Tage lang unentwegt denselben Dollarschein angeglotzt hatte. Wenn meine Familie über die Zeit spricht, als ich ein Baby war, tut sie das mit der Ehrfurcht von Veteranen, die sich an eine denkwürdige Schlacht erinnert. Offenbar habe ich im Säuglingszimmer des Krankenhauses so laut gebrüllt, dass die Säuglingsschwester, Veraleen Holliday, mich zu meiner Mutter brachte und sagte, ich würde alle anderen Babys vollkommen verrückt machen und könne nicht länger dort bleiben. Ich habe weitergeschrien. Fast ein ganzes Jahr lang. Grandma meint, das sei wegen der Koliken gewesen. Für sie hat alles immer irgendwie mit Koliken zu tun.
    Unser Arzt in Jumbo, Dr. Coyote Wilson, schlug verschiedene Behandlungsmethoden vor, und natürlich hatte jeder seine eigenen glänzenden Ideen, wie mir geholfen werden könne. Manche Vorschläge wurden sogar in der Zeitung abgedruckt: Wärmflaschen unter der Matratze, mit Zucker bestreute Schnuller, Zitronensalben, Tinkturen, Heilsäfte und Tee aus Katzenminze. Es gibt kaum ein ekelhaftes Gebräu, mit dem ich nicht traktiert wurde. Mama und Daddy verbrachten Stunden damit, mich nachts durchs Haus zu tragen, um mich
zu besänftigen. Sie stellten mich sogar in meinem Autositz auf den Wäschetrockner, bis der Schleudergang mich eines Tages auf den Boden beförderte. Bug sagt, das sei der eigentliche Grund, warum ich heute so komisch im Kopf sei.
    Als Nächstes bestellten meine Eltern Dr. Homers Wie beruhige ich ein schreiendes Baby? per Fernsehversand. Rausgeschmissenes Geld, wie alles andere auch. Ich veranstaltete so ein Spektakel, dass sich sämtliche Hunde von Mama (Beasie, Winkie, Weenie und Stinky) unter den Betten verkrochen. Trauten sie sich irgendwann wieder hervor, dann schlichen sie mit hängenden Hintern und Ohren umher, als hätte ihnen jemand eine Tracht Prügel verabreicht. Nach ein paar Wochen gab Daddy seine Versuche auf, mich beruhigen zu wollen, und kehrte stattdessen zu seinen friedlichen Tomaten und
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