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Meine Familie, der tägliche Wahnsinn und ich - Gesamtedition (German Edition)

Meine Familie, der tägliche Wahnsinn und ich - Gesamtedition (German Edition)

Titel: Meine Familie, der tägliche Wahnsinn und ich - Gesamtedition (German Edition)
Autoren: Angelika Hesse
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ja nichts mehr übernommen. Was meinen Sie, wie hart es geworden ist, eine Praxis einigermaßen wirtschaftlich zu führen.“
    Als mir erneut die Tränen in die Augen schießen, diesmal aus Mitleid für Dr. Wintermann und seine Berufsgruppe, nicke ich heftig und willig. „Ja, klar, ich übernehm die Kosten natürlich.“ Dabei werfe ich wehmütig einen Blick auf die Betäubungsspritze, die immer schon aufgezogen, neben den anderen kleinen Instrumenten auf dem Tablett bereit liegt.
    „Da ist noch ein Problem.“
    Ich bin kurz davor mir die Spritze selber zu angeln und in den 27er zu jagen,  versuche aber die Zähne trotz Schmerzen zusammen zu beißen.
    „Äha?“
    „Ich weiß gar nicht, ob ich da jetzt Zeit habe. Wir schließen die Praxis um 13 Uhr. Unsere  Abrechnung muss noch vor Weihnachten erledigt werden. Es ist schon eine sehr aufwendige, zeitintensive Behandlung, wissen Sie. Frau Klein, schauen sie doch mal schnell nach, was heute noch anliegt. Vielleicht können wir Frau Heiermann dazwischen schieben.“
    Das kleine Fräulein tut wie ihr gesagt, läuft zur Anmeldung und ist zwanzig Sekunden später wieder da.  „Der Elf Uhr Termin hat gerade abgesagt“, verkündet sie die frohe Botschaft.
    „Sie haben aber heute Glück“, gratuliert mir Dr. Wintermann strahlend, als hätte ich im Lotto gewonnen.
    „Danach müssen sie den Zahn natürlich neu überkronen. Der ist ja sonst bruchgefährdet.“ Ich nicke, überhöre die 400- 600 Euro je nach Material und will nur noch, dass er endlich anfängt. 
     
    Richtung Tiefenentspannung tendierend, liege ich ein paar Minuten später im Behandlungsstuhl und sperre brav den Mund auf, während meinem Backenzahn der Gar ausgemacht wird. Ich habe in meinem Leben verdammt viel falsch gemacht. Dass ich vorher nie darüber nachgedacht habe, mit was mein Ehemann mal seine Brötchen verdient, gehört dazu. Meine Mutter bläute mir immer wieder ein. „Such dir einen gescheiten Ehemann. Ein Arzt ist doch was ganz solides. Ein Chirurg, einen Kinderarzt oder vielleicht ein Zahnarzt. Sowas müsste man in der Familie haben.“  Sie war schon immer ein großer Fan der Schwarzwaldklinik. Mit einem feschen Doktor Brinkmann als Schwiegersohn hätte sich ihr Traum erfüllt. Heute ist mir klar, ich hätte auf sie hören sollen. Wenn ich so recht überlege, müsste Dr. Wintermann in meinem Alter sein. Übel sieht er auch nicht aus. Ob er verheiratet ist? Ich schiele auf seine Hände, kann aber selbst durch die dünnen Einweggummihandschuhe keinen Ring erkennen. Geschickt hantiert er mit seinen kleinen Gerätschaften und Sonden, gibt leise Anweisungen an seine Stuhlkraft und beugt sich tief mit seinem Brillenmikroskop über meinen Mund. Wie sanft der mir eben die Spritze in die Backe gesetzt hat.
    „Jetzt gibt’s einen kurzen Pick, nicht erschrecken“, meinte er und lächelte mir aufmunternd zu. Der Pick legte meine gesamte Zunge lahm, meine Lippe nahm die gefühlte Schwellung einer Tomate an, aber das war mir egal, Hauptsache Mr. 27 wurde endlich betäubt.
    „So, jetzt bitte gründlich spülen“, fordert mich die kleine Zahnarzthelferin nach geschlagenen zwei Stunden auf.
    „Waam kamm isch denn wieder wasch eschen?“, lispele ich unladylike und merke, wie mir Sabber das Kinn hinunter rinnt.
    „Sobald die Betäubung nicht mehr merkbar ist. Darf ich?“, fragt Dr. Wintermann und tupft mir mit einem feuchten Wattebausch ein paar Bröselreste aus dem Gesicht. Eine sehr zärtliche und innige Geste.  
    „Direkt im neuen Jahr sehen wir uns dann wieder, ich muss da noch ein zweites Mal ran“, sagt er bedeutungsschwanger. Will der mich jetzt anflirten?
    „Machen sie bei Frau Hansen vorne direkt einen Termin. Und für den Notfall, dass noch Schmerzen auftreten, bekommen Sie von ihr eine Telefonnummer.“ Damit reicht er mir die Hand und schaut mir tief in die Augen.
     
    An der Anmeldung mache ich den Termin und fordere stolz. „Der Doktor chat gesacht, sie geben mir seine Nummer, wenn der Chahn weiter Ärcher macht.“
    Frau Hansen rückt ihre Brille zurecht und legt eine keine Karte auf den Tresen. „Zahnärztlicher Notdienst“  und eine 0180er Nummer steht drauf. „Dr. Wintermann ist jetzt bis einschließlich 10. Januar im Urlaub. Wann möchten Sie wiederkommen? Vormittags oder nachmittags?“
    „Vormittags wenn möglich.“ 
    „Wenn sie noch einen Moment warten, könnten Sie ihre Abrechnung direkt mitnehmen.“
    „Oh ja, super“, sage ich wenig begeistert und setze
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