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 Mein spanisches Dorf

Mein spanisches Dorf

Titel: Mein spanisches Dorf
Autoren: Brigitte Schwaiger
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sogar befreundet. Dennoch will ich es wagen, Dir zu schreiben. Obwohl jener Freund mich dringend warnte, keine Briefe mehr nach Freistadt zu schreiben. Es ist doch irgendwie unangenehm, wenn man einen Brief schreibt, und man weiß, daß dieser Brief auch von solchen gelesen wird, für die er nicht bestimmt ist. Man muß sich jedes Wort genau überlegen, da ja ein Brief etwas Geschriebenes ist. Immer muß man dann überlegen, wer könnte den Brief lesen, und darauf muß man ihn abstimmen. Es ist beinahe so, als ob man ein Rundschreiben oder einen Artikel für eine Zeitung verfaßt. Das soll aber nicht der Sinn sein, daß ich Dir schreibe. Wie schon gesagt, es ist ein Unterschied, ob man den Brief an eine bestimmte Person oder ob man eine Mitteilung für eine Gruppe schreibt. Ein Gespräch unter vier Augen ist mehr oder minder ungefährlich. Etwas, was man schreibt, ist verewigt. Würdest du meine Bitte in diesem Sinn berücksichtigen?
    Ich sitze hier in meinem Zimmer und bereite mich aufs Philosophikum vor. In Wien ist es bereits recht herbstlich. Du wirst sicher gehört haben, daß Alexander mit einer Nierenbeckenentzündung in Freistadt im Spital liegt. Bitte grüße ihn sehr herzlich von mir. Du kannst ja sagen, ich hätte Dir eine Karte geschrieben. Bitte grüße auch Rudi und alle anderen sehr herzlich von mir. Ich werde doch noch bis Ende dieses Semesters in meinem Zimmer bleiben, weil man beim Suchen einer besseren Unterkunft ja doch meist nur vom Regen in die Traufe kommt. Wenn Du mir schreiben willst, gebe ich Dir hier meine Adresse, falls Du das Kuvert verlierst: Giselher Preinfalk, Margaretenstraße 52, Wien IV. (4. Bezirk). Es ist immer schön, Post zu bekommen, besonders, wenn man alleine lebt. Bitte grüße auch Deine kleinen Schwestern sehr herzlich von mir, sowie Deine Eltern.
     
    Herzliche Grüße,
    Dein
    Giselher
    PS. Ich habe leider vergessen, die Fotos vom Stiftungsfest entwickeln zu lassen. Da ich die Negative nicht gern aus der Hand gebe, möchte ich Dich bitten zu warten, bis ich wieder nach Freistadt komme. Nochmals sehr herzliche Grüße!
     
    Ich habe den Brief Susi gezeigt. Sie hat gesagt, der Giselher ist ein gebranntes Kind. Ich überlege, ob ich ihn in die Schule mitnehmen soll. In meiner Klasse bekommt nur Putschlögl Grete Briefe von einem Mann, und sie läßt sie immer so auffällig neben den Heften liegen, und in der Pause liest sie Stellen daraus vor. Ich werde den Brief auf jeden Fall in der Naturgeschichtsstunde aus dem Buch fallen lassen. Prof. Vlay hat ein Kinn wie Kirk Douglas. Aber leider ist er verheiratet, und angeblich hat seine Frau fünf Kinder. Außerdem … I love YOU and nobody else! Auf dem Heimweg vom Spital habe ich Grosch Sepperl getroffen. Er hat mir die Hand gegeben und mich bis zum Luger-Eck begleitet. Er hat mich gefragt, ob ich weiß, daß er wahrscheinlich nach Italien gehen wird, wegen der guten Kunstakademien, die es dort gibt. Er ist ein richtiger Spinner und redet immer so leise, daß man ihn nicht versteht. Er hat mich noch ein paar andere Sachen gefragt, aber es war mir zu blöd, daß ich immer frage: Was?
     
     
    10. Oktober
    Heute war ich – leider! ich bin so willensschwach! – wieder bei Alexander. Smolka Rudi und Dornhofer Joe waren draußen. Sie haben die ganze Zeit geblödelt. Ich habe Alexander gefragt, wie ihm «Heiterkeit kennt keine Grenzen» gefällt. Er hat gesagt, das Buch ist eine gute Schreibunterlage. Heimbegleitet hat mich niemand, obwohl ich länger geblieben bin, weil Smolka Rudi gesagt hat, er muß bald gehen. Jetzt muß ich noch die Deutsch-Hausübung machen. «Wie kann ich im Umkreis meines Lebens Toleranz üben?» Und dann natürlich das Geschirr abwaschen. Ich schwöre mir, wenn ich einmal verheiratet bin, falls ich überhaupt heiraten sollte – denn wenn ich Alexander nicht erobern kann, will ich ledig bleiben –, werden wir immer im Gasthaus essen. Als Fotojournalistin verdient man genug. Man kann sich auch eine Wirtschafterin halten. Ich bin nämlich für die Gleichberechtigung. In Paris gibt es ein Ehepaar, die sind gar nicht verheiratet, aber sie sind Mann und Frau. Nämlich Jean-Paul Sartre und seine Geliebte. Sie heißt Simone de Beauvoir. Und sie schreibt auch. Die gehen sicher ins Restaurant oder sie waschen miteinander ab. Vielleicht schreibe ich heute noch an Giselher. Meine Mutter klopft jetzt immer an, bevor sie ins Zimmer kommt, weil ich sie darum gebeten habe, und das finde ich toll. Ich habe sie auch
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