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Mein Name war Judas

Mein Name war Judas

Titel: Mein Name war Judas
Autoren: C. K. Stead
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darauf waren wir von Tempelwächtern, Herodes’ Milizionären und jungen Leviten umringt. Petrus versuchte sie zu vertreiben, unterstützt von Jakobus und Johannes. Die anderen verschwanden klammheimlich in der Dunkelheit. Bartolomäus’ Freund, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, rannte in Richtung Landstraße davon. Ein Milizionär wollte ihn aufhalten, erwischte aber nur den Lendenschurz, der sich löste, sodass der Juwelier nackt in die Dunkelheit rannte.
    Jesus befahl den Fischern, den Kampf zu beenden. Dann wandte er sich an seine Verfolger und fragte: »Warum kommt ihr bei Nacht und bewaffnet, wenn ihr mich bei helllichtem Tage im Tempel hättet haben können?«
    Aber sie waren nicht gekommen, um sich mit Jesus auf ein Gespräch einzulassen. Sie banden ihm die Hände auf den Rücken, zogen ihn mit sich fort, malträtierten ihn mit Rippenstößen und Schlägen auf den Kopf, und er nahm alles hin. Er stöhnte vor Schmerzen, aber er protestierte nicht.
    Im nächsten Moment war ich in dem Garten ganz allein. Alle Jünger – außer Petrus, der den Häschern und Jesus folgte – waren weggelaufen. Ich zögerte kurz, nahm mir dann aber an Petrus’ Mut ein Beispiel und folgte ihm. Etwas Glänzendes fiel mir ins Auge, und ich bückte mich danach. Es war Bartolomäus’ neue Gewandspange. Ich hob sie auf und habe sie noch heute – mein einziges Erinnerungsstück an jene Nacht.
    Ich schloss zu Petrus auf, und wir folgten den anderen mit etwas Abstand. Es ging den Berg hinunter, über die Brücke und dann auf die Stadt zu. Bald erreichten wir den Tempel. Wir folgten den anderen die steinerne Treppe hinauf und durchquerten den Innenhof. Nach einer weiteren Treppe führte ein breiter Korridor auf eine Doppeltür zu. Dahinter lag ein geräumiger Saal. An der Tür fingen uns Wachen ab und verwehrten uns den Zutritt.
    Petrus setzte sich im Korridor auf eine Bank, während ich an der Tür stehen blieb und mich verrenkte, um zu sehen, was im Saal vor sich ging. Es schien sich um eine Art Versammlungsraum zu handeln. An den Wänden hingen brennende Fackeln, und allerlei Priester und Schriftgelehrte waren anwesend. Wenigstens einige von ihnen mussten Sanhedrin sein. Ein Gesicht kam mir bekannt vor, und ich brauchte nur einen Moment, um zu erkennen, dass es mein Onkel war.
    Ich sprach die Türwächter an, zeigte auf meinen Onkel und erklärte, das sei der Bruder meines Vaters. »Er hätte gegen meine Anwesenheit bestimmt nichts einzuwenden«, sagte ich. Die Männer zögerten, und ich fügte – hoffentlich akzentfrei – hinzu: »Er wünscht mich zu sprechen, sobald diese Sache hier erledigt ist.«
    Die Männer sahen einander an, dann ließen sie mich durch.
    Ich nahm hinten im Saal Platz. Der Hohepriester, Kaiphas, hörte gut zu, als Jesus wegen Unruhestiftung und Tempelschändung angeklagt wurde; außerdem habe er blasphemische Äußerungen von sich gegeben und die Autorität der Priesterschaft infrage gestellt.
    Jesus schwieg dazu.
    Dann übernahm Kaiphas. »Bist du Jesus von Nazareth?«
    Als er keine Antwort bekam, fuhr er fort: »Du bist auf einem Esel in Jerusalem eingeritten und hast dich als ›Sohn Davids‹, als Messias bejubeln lassen. Du hast diesen gotteslästerlichen Willkommensgruß geradezu herausgefordert.«
    Jesus sagte nichts.
    Kaiphas zitierte die betreffende Prophezeiung: »›Fürchtet euch nicht, Töchter Zions, denn euer König wird kommen, und er reitet auf einem Esel.‹«
    Jesus sagte: »Ich kenne diese alte Prophezeiung. Aber bedeutet sie, dass niemand auf einem Esel reiten darf?«
    »Du hast vorgegeben, die Erfüllung dieser Prophezeiung zu sein.«
    »Der Einzige, der hier von Prophezeiungen spricht, bist du. Ich hingegen habe lediglich einen Esel geritten.«
    »Bist du der König der Juden? Bist du der Messias?«
    Jesus schüttelte den Kopf. »Das sind deine Worte.«
    »Was sollte es bedeuten, als du sagtest: ›Ehe Abraham wurde, bin ich.‹?«
    »Es bedeutet, dass die Seele zeitlos ist.«
    »Deine Seele, Jesus von Nazareth?«
    »Meine Seele. Und die Seele der Menschheit.«
    »Hast du gesagt, du könntest den Tempel niederreißen und ihn binnen drei Tagen neu errichten?«
    »Was ich sagte, geschah offen und vor jedermann, mitten im Tempel. Wenn es falsch war, warum habt ihr mich dann nicht gleich festgenommen, vor den Augen meiner Anhänger?«
    Ein Wächter, der hinter Jesus stand, schlug ihm von hinten auf den Kopf und schrie: »Beantworte die Frage!«
    »Es gibt Zeugen«, sagte
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