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Mein Name war Judas

Mein Name war Judas

Titel: Mein Name war Judas
Autoren: C. K. Stead
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21
    Am Morgen wuschen Petrus und ich uns an einem Brunnen und tranken von dem klaren Wasser. Wir hatten nichts zu essen und kein Geld, aber da meines Wissens keiner von uns die Zimmer benutzt hatte, die wir in der Taverne gemietet hatten, hielt ich es für kein großes Risiko, dort hinzugehen und um etwas zu essen zu bitten. Der Wirt wunderte sich, warum die Zimmer unbenutzt waren, aber er war nicht unfreundlich und brachte uns ein gutes Frühstück. Dass Jesus verhaftet worden war, hatte er noch nicht gehört. Ich sprach so unaufgeregt wie möglich darüber und ließ es wie eine reine Formsache klingen. Die Hohepriester, so sagte ich, hätten etwas in den Predigten zu beanstanden gehabt und Jesus dem römischen Statthalter überantwortet.
    Als ich den Statthalter erwähnte, schüttelte der Wirt den Kopf. Das, sagte er, habe nichts Gutes zu bedeuten. Pontius Pilatus sei nicht nur brutal, sondern zeige es auch gern. Deswegen halte er im Freien Gericht, auf dem Vorplatz der Antoniaburg. »Die Leute werden vor Angst ganz kirre und versuchen gleich, sich anständig zu benehmen. Es heißt, er hat Heimweh nach Rom, hasst Herodes und die Priester. Deswegen lässt er seine schlechte Laune an kleinen Leuten wie uns aus.« Der Wirt nickte und zog ein angewidertes Gesicht. »Und er liebt das Auspeitschen. Das ist sein Frühsport.«
    Als Petrus und ich die Burg erreichten, war dort bereits eine Menschenmenge versammelt. Bald kam auch Kaiphas, begleitet von einigen Priestern. Dann wurde Jesus hergeführt. Er hielt den Blick gesenkt und sah müde, geschunden, schmutzig und unglücklich aus. Man hatte ihm sein Gewand und die Sandalen abgenommen, sodass er von der Hüfte aufwärts nackt war. Er tat mir entsetzlich leid, und ich wollte ihm etwas zurufen, um ihn wissen zu lassen, dass wir da waren, aber dazu fehlte mir der Mut.
    Pilatus ließ alle warten. Als er endlich erschien, wurde er von bewaffneten Wachen in glänzenden Rüstungen eskortiert und nahm den Salut entgegen, der ihm als Repräsentanten Roms gebührte. Dann setzte er sich auf den Richterstuhl. Nach seinem glanzvollen Einmarsch verlor er keine Zeit und nur wenige Worte.
    »Ich habe diesen Fall geprüft«, sagte er und sah dabei Kaiphas an, sprach aber so laut, dass die Menge ihn verstehen konnte. »Ich habe mir sogar die Mühe gemacht, heute Morgen mit dem Fürsten von Galiläa zu sprechen, Herodes Antipas, der Jerusalem gerade einen Besuch abstattet. Der Fürst – kein Freund von Möchtegern-Propheten, die in seinem Hoheitsgebiet Unruhe stiften – ist mit mir einer Meinung, was diesen Nazarener betrifft …« Er unterbrach sich und sah einen Untergebenen an, der sich zu ihm vorbeugte und ihm den Namen des Angeklagten zuflüsterte. Ich hatte den Eindruck, dass es Teil der Inszenierung war und Pilatus den Namen sehr wohl kannte.
    »Diesen Jesus von Nazareth«, fuhr er fort, »der, soviel wir wissen, außer einigen gewagten Thesen und einer vorlauten Stimme nichts vorzuweisen hat. Er ist zwar ein irregeleiteter Vagabund, aber kein Verbrecher und verdient nicht mehr als einige Peitschenhiebe. Die jedoch kann er gerne haben, von mir persönlich.«
    Er lächelte und zeigte, ohne sich umzudrehen, gelangweilt hinter sich, wo ein Zenturio mit einer Peitsche stand. Diese Peitsche – sie wurde wie eine Insignie gehalten – hatte einen Griff mit silbernen Intarsien, der auf den kräftigen, sonnengebräunten Unterarmen des Zenturios ruhte. Ihre Lederriemen waren so lang, dass sie bis auf den Boden herunterhingen, und mit Widerhaken bestückt, die in der Sonne blitzten.
    Pilatus sah Kaiphas an, als warte er auf dessen Einverständnis. Offenbar gab es zwischen den beiden Kompetenzstreitigkeiten. Ich wusste nicht, worum es dabei ging, aber dass Jesus in diesem Fall der Zankapfel war, verhieß nichts Gutes.
    »Bei allem Respekt, Exzellenz«, sagte Kaiphas, »dieser Jesus von Nazareth hat den Tempel geschändet und die Autorität der Priesterschaft infrage gestellt. Mit dieser Strafe wird das Volk nicht einverstanden sein.«
    Wieder lächelte Pilatus. Es war ein unangenehmes Lächeln. Ich fragte mich, ob er überhaupt in der Lage war, warmherzig zu lächeln, und bezweifelte es. Er schien zu überlegen, oder wenigstens sollte es so aussehen, als überlege er.
    »Dann soll er gekreuzigt werden.« Die Menge applaudierte. Pilatus richtete sein falsches Lächeln nun direkt auf die Zuschauer und sagte: »Ah, die Blutrunst … wie berechenbar sie ist.«
    Dann wandte er sich wieder
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