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Mein Name ist Eugen

Mein Name ist Eugen

Titel: Mein Name ist Eugen
Autoren: Klaus Schädelin
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Geschichte mit dem Gebiss war darum schnell vergessen: Der leise Schnee und der dunkle Abend und die Strassenlaternen, um die herum es glitzerte und flirrte, und der Mann auf dem Denkmal, der schon einen Zylinder, und die Brunnenröhre, die schon einen Bart hatte, das war alles viel zu schön, als dass daneben noch anderes Platz gehabt hätte. Die Welt war ganz still geworden; die weisse Decke schluckte alle Töne auf, und uns Knaben blieb nichts anderes übrig, als uns darin herumzuwälzen vor Freude.
    Beim Studerstein war Antreten. Von hier ging es in Einerkolonne in den Wald hinein, vor jedem Fähnlein der Jüngste mit einer Kerze, und die Flocken, die mittlerweile etwas grösser geworden waren, setzten sich auf den Hutrand.
    Keiner sagte mehr ein Wort. Nicht einmal der Wrigley hinter mir, sondern alle sahen auf das Kerzlein und die langen Schatten und auf den Schnee und auf die dunklen Tannen. Nach einer Weile gab es in der Ferne zwischen den Bäumen hindurch einen hellen Schein, und jeder wusste, dass dort das Tannenbäumchen stand. Und es wurde noch schöner und noch feierlicher.
    Ja, so war es, und doch habe ich nur die Hälfte erzählt: Auf dem langen Weg, als niemand mit einem sprach, sah ich auf einmal den Zacharias Lehmann vor mir, wie er heute nachmittag so ganz allein in der Schulstube sass und vor lauter Alter und Einsamkeit einschlief. Ich sah ihn wieder, vornübergebeugt über die Hefte, mit etwas schauderhaft Traurigem im Gesicht, eben so, wie es ein alter Mann hat, wenn er vor lauter Alleinsein einnickt. So wie heute nachmittag hatte ich ihn noch nie gesehen. Vor der Klasse war er sonst immer wie ein lötiger Teufel, aber jetzt, wo er einzig mit sich selbst in der leeren Schulstube sass, war er ganz anders: Wirklich nur noch so ein alter Mann, dem der Kummer noch in den Schlaf hinein nachgeht. Was mochte er vor dem Einschlafen gedacht haben? Konnte ein Zacharias Lehmann, ein so gewaltiger Lehrer, überhaupt Sorgen haben? —Wahrscheinlich schon, sonst hätte sein Gesicht nicht einen solch erbärmlichen Ausdruck getragen.
    Wir waren unterdessen beim Weihnachtsbäumchen angelangt und stellten uns rundherum und sahen in die Kerzchen und in das Licht von ihnen, das auf dem Schnee am Boden herumtanzte. Wir sangen fast gar alles, was man an Weihnachten fast von selber singt, und diese Lieder mit dem Schnee und dem Wald vermischt, machten einem das Gefühl, als sei alles gut.
    Aber wie war wohl das Erwachen des Zacharias gewesen, als er seinen unentbehrlichen Gegenstand vermisste?
    Hatte er geflucht, oder war er am Ende noch trauriger geworden, noch stiller und noch grämlicher?
    Der Führer las die Weihnachtsgeschichte. Die kenne ich schon auswendig vom vielen Vorlesen, aber heute war sie ein wenig anders. Entweder passte sie nicht so ganz zu mir oder ich nicht ganz zu ihr, denn ich kann nicht behaupten, es habe mir wohlgetan, als die Engel wieder einmal riefen:
    «Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.»
    Da war also der stille Wald und der Führer las, wie der Heiland auf die Erde gekommen sei, um den armen Menschen grosse Freude zu machen, aber hinter diesem Wald ging vielleicht im selben Augenblick ein alter Mann vornübergebeugt und erschrocken seinem Hause zu. Der Führer las von den Hirten auf dem Feld, wie sie zum Stall kamen, den Heiland zu sehen, aber bereits vor dem Stall draussen hatten meine Gedanken sie verlassen, und es begann da drinnen etwas zu kochen, bis es aus mir herausbrummelte: «Das war gemein.»
    Und dann wurde ich rot, denn der Bäschteli sah mich blöd an, und ich merkte, dass ich laut gemurmelt haben musste, und ich schämte mich.
    Und doch hatte es mir den Zapfen abgejagt, denn als wir am Schluss noch einmal sangen, da brüllte ich das «Stille Nacht» dermassen in den Wald hinaus, dass sich etliche umdrehten, und als wir wieder in Einerkolonne den Wald verliessen, da war die Weihnacht mit einer halben Stunde Verspätung für mich erst angebrochen.
    Ich drehte mich zum Wrigley und zum Eduard um und flüsterte ihnen zu, ob es nicht besser wäre, die Sache mit dem Zacharias irgendwie ins Blei zu bringen.
    Doch er und der Eduard grinsten mich aus und nannten mich ein Milchkind: Der Streich sei doch gerissen, und falls der Zacharias nicht ein Reservegebiss habe, werde das morgen in der Schule ein schönes Hallo geben, und wenn ich Angst habe, so solle ich zur Mamma gehen und einen Nuggi verlangen und solche Sachen.
    So wandte ich mich
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