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Mein Name ist Eugen

Mein Name ist Eugen

Titel: Mein Name ist Eugen
Autoren: Klaus Schädelin
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selbiges Museum ein furchtbares Drama wurde, denn was dort drin geschah, das ist geradezu historisch.
    Und das kam so: Im Zeichnen in der Schule hatten wir sämtliche Gipsfiguren, die auf einem Gestell standen, schon lange abgezeichnet, und weil zufällig auch der Herbst vorbei war, gab es keine farbigen Blätter mehr, die sich rot und braun malen liessen. Dem Lehrer war somit der Stoff ausgegangen, und darum führte er uns jeden Montag und Freitag ins historische Museum, das während dieser Zeit für andere Besucher geschlossen ist, und dort zwang er uns zum Abzeichnen von Vasen, Helmen und solchem Blödsinn.
    Ich glaube zwar, selbiger Lehrer habe den Unterricht nur deshalb ausser die Schule verlegt, damit er in der Eintracht ungestört sein Gläschen kippen konnte, denn während der Stunden zeigte er sich nur ganz am Anfang und überliess hernach die Aufsicht der Wärterin.
    Diese Zeichnungsstunden wären über alle Massen langweilig geworden, hätten wir ihnen nicht die nötige Würze verliehen, indem unserer paar hin und wieder kleinere Exkursionen machten, zum Beispiel in die Folterkammer hinunter, wo wir einmal am Bäschteli die Daumenschrauben ausprobieren wollten und ihm nachher den Mund zuhalten mussten, damit die Wärterin sein Heulen nicht höre. Auch andere Sachen probierten wir: die grosse Postkutsche, das Kanu der Eskimos, und manchmal hielt uns der Wrigley eine Rede vom Schultheissenstuhl herunter, und einmal machten sie im zweiten Stock sogar mit Hellebarden ein Duell.
    Ich glaube, damit hat das Schicksal angefangen. Denn in der nächsten Nacht legte der Wrigley das grosse Ei, wie er das nannte. Seit einiger Zeit schlief ich nämlich bei ihm drunten in seinem Zimmer, und das kam so:
    Dem Doktor Ebenezer Bischof, einem Freund meines Vaters, war sein Haus niedergebrannt, als er für seine Kaninchen Heu vom Dachboden herunterholte und leider die Zigarette oben liess. Der Doktor war also obdachlos geworden, und bei der herrschenden Wohnungsnot hatte ihm mein Vater für einige Wochen bei uns Unterkunft angeboten, ausgerechnet in meinem Zimmer, denn man fand, der Wrigley und ich passen nicht schlecht zueinander, und wir könnten ruhig ein wenig seine Bude teilen.
    In jener Nacht war ich schon lange eingeschlafen und träumte, ich liege im Grand Prix an zweiter Stelle. Zu meinem Ärger zwang mich jemand zu einem Boxenaufenthalt, riss mich aus dem Wagen, und dann merkte ich halbwegs, dass es der Wrigley war, der mich an den Schultern zog.
    Er begann auf mich einzureden, so stürmisch und ausführlich, dass ich Angst bekam, wenn er nicht bald aufhöre, so hole ich meinen Rückstand auf Farina nimmer auf.
    Er keuchte, schon zwei Stunden liege er wach.
    Er habe eine Idee, die Idee des Jahrhunderts, und es nehme ihn wunder, dass man das Museum so lange habe stehen lassen, ohne daraufzukommen: Das ganze Museum sei nämlich ein kolossales Missverständnis.
    «Eugen! Meinst du, alle die Rüstungen im Museum seien bloss zum Abstauben und Aufhängen gemacht? — Mitnichten! Sondern die soll man tragen in der Schlacht! Wo wäre der Parziwahl geblieben, wenn sein Helm im Kampf mit dem Grahl im Museum gehangen hätte, statt auf seinem Kopf, he? Und der Prinz Eugen, der edle Ritter, als die Römer frech geworden? — Der wäre schön lackiert gewesen ohne seine Beinschienen! Die haben...» und so ging es wohl weiter; wie lange weiss ich nicht, denn immer noch schlaftrunken war ich fest entschlossen, das Rennen wieder aufzunehmen, aber trotzdem ich die
    Augen zutat, gelang es mir doch nicht mehr: Ich sass nicht mehr im Alfa Romeo, sondern im Dornröschenschloss, und immerfort bedrängte mich der Wrigley in einer Rüstung, sein Ross zu besteigen und mit ihm ins Gymnasium zu reiten.
    Am nächsten Morgen dachte ich meinerseits kaum mehr an den nächtlichen Zwischenfall, aber der Wrigley lief bis am Freitag in der Welt herum, wie der Kolumbus, kurz bevor er sein Schiff bestieg.
    Wiederum hatten wir Zeichnen im Museum. Es war Freitag. Halb vier Uhr nachmittags. Wir sassen alle auf unseren Klappstühlchen im Seitensaal des ersten Stocks im Halbkreis um eine zerbrochene und nur notdürftig zusammengeleimte Vase herum. Darunter stand zu lesen: «Griechisch». Meiner Ansicht nach gehört so etwas auf den Mist, denn sie war nicht etwa neu, sondern steinalt, und ein rechtes Jammerbild. Die sollten wir zeichnen!
    Ja, das ist immer so: Fast gar alles, was ich ungern sehe, habe ich in meinem jungen Leben auf Befehl der Lehrerschaft
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