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Mein Mann der Moerder

Mein Mann der Moerder

Titel: Mein Mann der Moerder
Autoren: Kerstin Herrnkind
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perlte der Schweiß. Seine runde Gesichtsform verlieh ihm etwas Kindliches, ein Eindruck, der durch seine kleine, dickliche Statur noch verstärkt wurde. Matze aß wahlweise bei McDonald’s oder holte sich aus dem Supermarkt, der gegenüber der Redaktion lag, ein paar Gläser mit Bockwürstchen. Er brauchte weder Teller noch Besteck, angelte sich die Würste mit den Fingern aus dem Glas, schlang sie gierig hinunter. Und wenn er aufgegessen hatte, trank er das Wasser, in dem die Würstchen geschwommen hatten, was Sarah besonders anwiderte.

    »Du musst sogar sehr nett zu uns sein«, ereiferte Basti sich nun ebenfalls.

    Es war einer dieser Momente, in denen Sarah Obermeier wieder einmal zutiefst bereute, dass sie das Jurastudium abgebrochen hatte, um Journalistin zu werden. Warum hatte sie nicht durchgehalten? So wie ihr alter Freund Lui, der inzwischen Staatsanwalt geworden war. Oder Anton, der mit seiner Kanzlei in einer klassizistischen Villa residierte und als Anwalt wahrscheinlich so viel Schotter verdiente, dass ihr beim Blick auf seine Steuererklärung schwindelig geworden wäre. Aber sie war ja schon nach drei Semestern kläglich gescheitert. Hatte Jura als »entsetzliche Erbsenzählerei« abgetan, um nicht zugeben zu müssen, dass ihr das Zeug zur Juristin fehlte. Die Genauigkeit, mit der die Fälle im sogenannten Gutachtenstil nach dem immer gleichen Schema (nominieren, definieren, subsumieren, konkludieren) Schritt für Schritt geprüft werden mussten, ließ sie verzweifeln. Sarah hasste alles Formalistische, neigte zur Flusigkeit. Eine Eigenschaft, die im Journalismus nicht unbedingt ein Nachteil war, in der juristischen Fallbearbeitung allerdings mit drastischem Punktabzug geächtet wurde. Und dann diese leblose, kalte Sprache. ›Erlaubnistatbestandsirrtum‹ war so ein Wort, das Sarah besonders gruselig fand.

    Im Vergleich zum Hörsaal, wo sie ein ums andere Mal über die Fallstricke des bürgerlichen Rechts stolperte, war ihr die Zeitungsredaktion, für die sie am Wochenende vor den Toren Hamburgs über Schützenfeste, Feuerwehrbälle und Kaninchenzüchter berichten durfte, vorgekommen wie ein Paradies. All diese unkonventionellen Leute, die nie vor zehn Uhr morgens anfingen zu arbeiten, was ihrem Naturell als Langschläferin sehr entgegenkam. Vom Praktikanten bis zum Chef duzten sich alle.

    Niemals würde Sarah ihren ersten Scoop vergessen. Der Skandal um sechzehn Möwen, die in dem Altölcontainer einer Werkzeugfabrik grausam zu Tode gekommen waren. Nach hartnäckiger Recherche war es Sarah gelungen, aufzudecken, dass der Container mit dem Altöl tagelang offen auf dem Hof der Fabrik gestanden hatte, und zwar entgegen den Vorschriften. Das Konkurrenzblatt hatte sich an die Geschichte nicht recht herangetraut. Schließlich war die Fabrik eine gute Anzeigenkundin. Doch Sarahs Lokalchef, ein fanatischer Tierfreund, der auf seinem Resthof über zwanzig Katzen durchfütterte, hatte D ie wahren Hintergründe des Möwensterbens mit den Worten »Tiere gehen immer« ins Blatt gehievt.

    Tatsächlich entfachte der Artikel einen Sturm der Entrüstung. Vor allem die Fotos von den Möwen, deren Gefieder vom Altöl völlig verdreckt und verklebt war, rührte die Leser zutiefst. Tagelang war die Redaktionssekretärin damit beschäftigt gewesen, die Spendenangebote hilfsbereiter Leser zu notieren. Auch in der Werkzeugfabrik stand das Telefon nicht mehr still, so lange, bis der Pressesprecher den »Skandal« kleinlaut einräumte und dem Tierschutzverein, der sich vergeblich um die Rettung des Federviehs bemüht hatte, eine großzügige Spende garantierte. Natürlich wurde auch das groß im Blatt ›abgefeiert‹.

    Sarah hatte sich damals ein bisschen so gefühlt wie ein weiblicher Robin Hood für entrechtete Tiere und andere wehrlose Kreaturen. In wenigen Jahren würde sie noch ganz andere Skandale aufdecken.

    »Komm bloß nicht auf die schiefe Bahn«, hatte ihr Exkommilitone Lui sie damals gewarnt. Doch sie hatte, als der Lokalchef ihr ein Volontariat anbot, keine Sekunde gezögert und das Jurastudium an den Nagel gehängt, um Journalistin zu werden. Nach der Ausbildung war sie nach Berlin gegangen, hatte eine Stelle als Pauschalistin beim Berliner Express angetreten. Seitdem war sie als › feste Freie‹ , wie es im Redaktionsjargon hieß, nichts weiter als eine moderne Leibeigene. Der Verlag zahlte ihr eine monatliche Pauschale. Sie war nicht fest angestellt, hatte aber jeden Morgen in der Redaktion zu
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