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Mein Leben Als Suchmaschine

Mein Leben Als Suchmaschine

Titel: Mein Leben Als Suchmaschine
Autoren: Horst Evers
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überprüft und sich nicht immer nur wie doof auf alles, was man sieht, verläßt. Wenn ich alleine hochrechne, wieviel Lebenszeit ich schon damit verschwendet habe, durch eine Straße zu laufen, die es gar nicht gibt.
    Eine meiner größten Ängste seit fünf oder sechs Jahren ist, ich könnte virtuell sein oder plötzlich virtuell werden. Wie das jetzt genau funktionieren sollte, weiß ich natürlich nicht. Muß ich aber auch nicht wissen. Man kann ja auch virtuell werden, obwohl man von der virtuellen Welt gar keine Ahnung hat. Das ist wie mit Herpes. Den kann man ja auch bekommen, ohne irgendetwas über Herpes zu wissen. Im Gegenteil, je weniger man über Herpes weiß, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, sich einen einzufangen. Wenn man die Veranlagung dazu hat. Und die Veranlagung zum Virtuell-Werden habe ich definitiv. Schon als Kind hatte ich die.
    Unzählige Schulstunden gab es, von denen meine Lehrer absolut überzeugt behauptet haben, sie hätten stattgefunden, die Lehrer hätten da irgendwas erklärt, und ich sei auch dabeigewesen. Aber ich selbst habe keinerlei Erinnerung an all diese Stunden. Das allein ist doch schon mehr als mysteriös.
    Kürzlich noch erschienen so viele Berichte über das Second-Life-Universum. Das Feuilleton hat diese virtuelle Parallelwelt geliebt. Wahrscheinlich, weil sie sich gefreut haben, endlich mal eine neue Welt mißverstehen zu können. Das Mißverstehen der alten Welt muß ja selbst für einen Feuilletonisten irgendwann mal langweilig werden. Alles, was es hier gibt, gibt es auch in Second Life. Was für ein origineller Entwurf. Sogar richtiges Geld, den Linden-Dollar, den man mit etwas Glück auch gegen noch richtigeres Geld in der realen Welt eintauschen kann. So besagen es zumindest Gerüchte.
    Als ich von all dem hörte, beschlich mich sofort ein unheimlicher Verdacht. Soviel Matrix oder ähnliches habe ich natürlich auch gesehen, als daß ich nicht sofort denken würde:
    Was, wenn dann auch diese Welt nur virtuell ist? Wir praktisch alle nur Teil eines Computerspieles sind, welches noch realere Menschen in einer noch realeren Welt spielen? Ich nur die Computersimulation, der Avatar, meines realen Spielers in dieser noch realeren Welt bin? Das würde zumindest mal erklären, wo eigentlich mein ganzes Geld immer bleibt. Vermutlich tauscht mein realer Spieler mir das nämlich immer alles weg.
    Wahrscheinlich sind die Spieleentwickler in dieser noch realeren Welt quasi ständig damit beschäftigt, uns das Leben schwerer zu machen, damit das Spiel interessant bleibt. Wäre logisch. Sicherlich sind manche dieser Spieleentwickler richtig berühmt geworden mit der Erfindung von Unterprogrammen, wie »Schienenersatzverkehr«, »grölende Nachbarn« oder »Hundekot«. Und ein besonders perfider Programmierer hat vermut-lich die Telefontarifwechselangebotsanrufer-Routinen entwickelt. Wurde diese ganze Welt am Ende wirklich nur von einer höheren Intelligenz, also ein paar bekifften und sadistischen Computerfreaks entwickelt? Das würde allerdings manches erklären. Wüßte dann nur noch gerne, wer von diesen durchgeknallten Spieleentwicklern eigentlich auf die Geschichte mit Knut gekommen ist.
    Schaue mich im Spiegel an. Bin beruhigt. Mal angenommen, mein realerer Spieler hätte jetzt wirklich die Möglichkeit gehabt, sich für seinen Avatar, also seine zweite Identität, einen Körper völlig frei und wunschgemäß auszusuchen… Nee.
    So durchgeknallt ist doch keiner. Gottseidank, mit diesem Körper muß ich eigentlich keine Angst haben, irgendwann mal virtuell zu werden.
    Gehe runter zur Wartenburgstraße. Laufe dort eine halbe Stunde auf und ab. Rufe die ganze Zeit laut: - Ich glaube an Dich! Ich glaube an Dich! Ich glaube an Dich!
    Die Wartenburgstraße reagiert alles in allem gelassen, aber die mir entgegenkommenden Menschen, die haben sich sehr gefreut.

23 Säulen

    Eine der vielen, vielen Säulen meiner Altersvorsorge ist, daß ich mich jeden Morgen kurz an den Computer setze und bei Google als Suchbegriff mal eben schnell »Geld umsonst« eingebe. Mittlerweile hat man da mehr als eine Million Treffer. Ich finde, das hat was sehr, sehr Beruhigendes. Im Alter werde ich die alle mal abklappern. Über eine Million Treffer, da müßte eigentlich ein ganz schönes Sümmchen zusammenkommen. Könnte natürlich auch einfach diese Liste ausdrucken und sie bei der Bank als Sicherheit für einen Kredit hinterlegen. Aber ich weiß nicht, ob ich der Bank davon überhaupt
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