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Mein Leben Als Suchmaschine

Mein Leben Als Suchmaschine

Titel: Mein Leben Als Suchmaschine
Autoren: Horst Evers
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unterhalten. Dann wird vieles einfacher, wenn die Hosen schon kurz nach dem Kauf der Schokolade wissen:
    - Okay, das war’s dann wohl für mich.
    Oder eben diese Schokolade den Hosen fröhlich zuruft:
    - Euch mach ich fertig!
    Auch diesen immensen Aufwand mit Bundestrojanern und dergleichen, der zur Zeit noch vom Verfassungsschutz betrieben wird, den braucht es dann vermutlich nicht mehr. Das erledigen dann alles die Milchpackungen:
    - Herr Evers, wir haben Informationen, Sie hätten beim Frühstück behauptet, den Bundesinnenminister sollte man mal…?
    - Oh nein, das hab ich nie gesagt. Nie.
    - Herr Evers, leugnen Sie nicht. Wir haben eine beeidigte Aussage Ihrer Milchpackung.
    - Oh glauben Sie der Milch nicht. Das ist nur… ich hab sie schlecht werden lassen… jetzt ist sie sauer.
    - Herr Evers, Ihre Milch hat einen einwandfreien Leumund. Es gibt für uns keinen Grund, an ihr zu zweifeln. An Ihnen hingegen…
    Gut, das ist jetzt natürlich nur eine völlig übertriebene Zukunftsvision. Satirisch überspitzt, wie meine etwas bräsige Zeitung es nennen würde. Aber irritierend finde ich sie trotzdem. Allein schon, weil derjenige, der mich in dieser Vision verhört, also richtig in die Mangel nimmt, mein Kirschjoghurt ist. Und als Pflichtverteidiger wird mir auch noch die Halbfettmargarine zugeteilt.
    Ausgerechnet die Halbfettmargarine. Diesen Umstand finde ich eigentlich am Beunruhigendsten.

    Epilog:
    Es ist eine seltsame Vorstellung, diesen Text in diesem Buch in, sagen wir mal, vier Jahren, also 2011 zu lesen. Vermutlich werden diese RFID-Chips dann längst ein alter Hut und gesellschaftlich wie datenschutztechnisch anerkannt und akzeptiert sein. Dann werden mein Text und ich aber ganz schön alt aussehen, aber, um mal einmal so bräsig wie meine Zeitung zu sein: Nichts ist älter als die Zukunft, wenn sie vorbei ist.

Was heißt hier Verantwortung?

    Berlin, 3. April 2097, 6.45 Uhr
    Der Zug, zu dem mich meine Auftraggeber bestellt haben, ist pünktlich. Ich schalte den Luftkissenantrieb an meiner kleinen Reisetasche an, und sie schwebt in den Wagon. Es gibt noch reichlich Fensterplätze im Großraumabteil, ich wähle ein Fenster, dessen Programm mir eine Fahrt durch eine sonnige südfranzösische Landschaft simuliert, und richte mich für die Fahrt ein. Geräuschlos fährt der Zug an, aber fast alle Fahrgäste machen, so gut sie können, ein Anfahrgeräusch nach: »FFuff, FFuff; FFuff, FFuff.« Seit die katholische Kirche im letzten Katechismus festgeschrieben hatte, es sei Gottes Wille, daß man bei allen Fortbewegungsmitteln die Fahrgeräusche des 20. Jahrhunderts nachmachen müsse, war es wieder laut geworden auf Deutschlands Straßen und Schienen.
    - Entschuldigen Sie, ist dieser Platz noch frei?
    Es war ein kleiner, eiförmiger Mann, der da neben mir im Gang stand und mich anbrüllte. Ich versuche es einfach mal mit einem:
    - Nein.
    - Dankeschön!
    Er setzt sich und brüllt mich an:
    - Gestatten? Tempelmeier, Jens, aus Berlin-Wedding!
    Wedding?! Das Rudolf-Virchow-Krankenhaus. Ich hatte von diesem Bezirk und seinem schrecklichen Schicksal gehört. Nachdem man Anfang des 21. Jahrhunderts die Lärmemission des Autoverkehrs auf Null hatte senken können, beging die Krankenhausleitung den fatalen Planungsfehler, die hypermoderne neue Säuglings- und Entbindungsstation direkt an der zum Stadtring führenden Seestraße zu bauen. Es war der ruhigste Ort auf dem ganzen Gelände. Dann jedoch kam plötzlich und unerwartet das päpstliche Fahrgeräuschkonzil, wodurch die Fahrer der vorbeirauschenden, geräuschlosen Autos tagaus, tagein solch einen infernalischen Lärm veranstalteten, daß alle Einwohner des Weddings, die auf dieser Station geboren wurden, quasi von Geburt an schwerhörig waren, wodurch der Lärmpegel nochmals wuchs, denn man konnte sich ja nur noch durch Schreien bemerkbar machen. Es geht die Legende, daß seit über 50 Jahren kein Weddinger mehr einen anderen Weddinger wirklich verstanden hat. Ich frage mich, wie sie unter diesen Umständen überhaupt hatten sprechen lernen können.
    Der kleine Mann schreit weiter:
    - Ihre Auftraggeber schicken mich. Ich soll Ihnen alles Wesentliche über Ihre Aufgabe mitteilen! Aber geben Sie bitte acht, alle Informationen, die Sie von mir bekommen, sind streng vertraulich und äußerst geheim! Niemand darf davon erfahren!
    Ich war beeindruckt. Dieser Tempelmeier mußte wirklich gut auf seinem Gebiet sein, wenn er trotz seiner sinnestechnischen
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