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Mein Leben Als Suchmaschine

Mein Leben Als Suchmaschine

Titel: Mein Leben Als Suchmaschine
Autoren: Horst Evers
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auf die Schulter:
    - Hallo, Paul, und? Wo biste heute hingefahren?
    - Berlin, ich bin heut nach Berlin gefahren.
    - Oh toll, Berlin, Mensch, komm mal vorbei, wennde wieder da bist.
    Der neue Gast geht zur Juke-Box, wirft eine Münze ein, drückt ein paar Tasten, aus der Musikbox ertönt: »Amor, Amor, Amor…«
    Dann geht er zu einem anderen Tisch, wo auch schon seit einigen Stunden eine recht fidele Runde sitzt:
    - Hallo, Jungs, und wie is? Wollen wir noch mal?
    Alle kichern:
    - Oh nee, komm, das ist doch albern.
    - Och bitte, nur einmal,
    - nee, lass mal,
    - bitte,
    - also gut.
    Er setzt sich zu ihnen, kurz vor dem nächsten Refrain werden alle ganz still, gucken sich an, dann, beim einsetzenden Refrain, fassen sich plötzlich alle gegenseitig an den Ohrläppchen und singen laut: »Am Ohr! Am Ohr! Am Ohr!« Dann rutschen sie vor Lachen fast von ihren Stühlen.
    Muß zugeben, die anderen hatten recht, das ist schon ziemlich albern. Aber ich find’s großartig. Bestimmt haben sie dieses Ritual schon seit Jahren. Und jedesmal ist es wieder lustig. Ich kenn sowas. Ich mache sowas manchmal mit meinem Kioskbesitzer. Also, ich kaufe eine Zeitung, gehe kurz raus, komme dann wieder in den Kiosk, sage: - Hab grad in die Zeitung reingeguckt, Mensch, die ist ja wieder super, mach mir gleich noch ’ne zweite fertig. Dämlich, aber wir finden’s immer wieder lustig.
    Plötzlich springt Paul auf.
    - Wie spät ist das? Der Zug? Ich hab meinen Zug zurück von Berlin verpasst! Ich muß doch nach Hause, wie komm ich denn jetzt nach Hause?
    Ein anderer Gast kommt zu ihm.
    - Keine Angst, Paul, ich bring dich.
    Die beiden gehen raus.
    Ein Freund erzählte mir, sein Vater habe auch sein Leben lang immer die gleichen Witze erzählt. Wenn zum Beispiel mal jemand aus seinem Bekanntenkreis gestorben war und er gefragt wurde, ob er denn zur Beerdigung gehe, war die Antwort immer:
    - Ach nee, der kommt ja zu meiner auch nicht.
    Dieser und noch zwei, drei andere Witze reichten dem Vater fürs Leben. Mehr braucht man ja eigentlich auch nicht.
    Die Tür geht auf. Der Gast und Paul kommen zurück.
    Der Nach-Hause-Bringer brüllt:
    - Guck mal, wer wieder da ist.
    Alle begrüßen Paul.
    - Mensch Paul, da biste ja wieder! Und? Wie war’s in Berlin?
    - Ach groß, groß ist das da, und was da los ist, obwohl, wenn man’s genau nimmt, so viel anders als hier ist das da auch nicht.
    Ich zahle. Beim Rausgehen krame ich noch einen alten BVG-Fahrschein aus der Tasche und drücke ihn Paul in die Hand. Als kleine Reiseerinnerung.

Hoffnung für alle

    Am Hauptbahnhof in Berlin. Im Eingangsbereich auf der Reichstagsseite treffe ich Holger. Wie alle anderen starrt auch er auf die große Anzeigetafel mit den abfahrenden Zügen: - Zug fährt nicht - fällt aus - fällt aus - fährt nicht… es ist Streik.
    Holger erzählt, er habe eine Praxis gegründet. Eine Praxis zum Warzenbesprechen. Sage Holger, ich hätte gar nicht gewußt, daß er von sowas Ahnung hat. Holger sagt, er hat auch keine Ahnung, aber das sei nebensächlich. Wichtig bei sowas sei, daß man seriös sei.
    Gut. Frage Holger, wie denn jemand, der vom Warzenbesprechen keine Ahnung hat, eine seriöse Warzenbesprechungspraxis aufmachen kann.
    Holger triumphiert: Weil er eine l00prozentige Bei-Nichterfolg-Geld-zurück-Garantie anbietet.
    Fasse mein eigenes fragendes Gesicht in einem wohlüberlegten »Ach« zusammen.
    Holger erklärt:
    - Weißt du, Horst, rund die Hälfte aller Warzen verschwindet von selbst wieder. Wenn jemand mit einer Warze zu mir kommt, bespreche ich diese Warze, und wenn die Warze nicht innerhalb von sechs Monaten verschwindet, gebe ich ihm einfach das Geld wieder zurück. Ohne Tricks oder Komplikationen. Geld zurück - fertig. Wenn jedoch die Warze verschwindet, kann ich schön das Geld behalten. Verstehst du? Da ich, soweit ich weiß, der einzige Warzenbesprecher mit so einer Geld-zurück-Garantie bin, werden mir die Leute die Bude einrennen. Das Arbeitsamt jedenfalls findet die Geschäftsidee gut, die wollen die Praxis fördern.
    - Holger, bist du dir wirklich ganz sicher, daß das nicht doch Betrug ist?
    - Ja, dachte ich erst auch. Aber mittlerweile finde ich das eigentlich nicht mehr. Immerhin bekommen die Menschen ja etwas für ihr Geld.
    - Eine Warzenbesprechungsshow, oder was?
    - Auch. Natürlich. Du kannst sicher sein, ich werd mir da schon ein bißchen was Schickes einfallen lassen. Aber noch viel wertvoller: Sie bekommen Hoffnung. Und wenn die Hoffnung sich nicht
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