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Mein Jakobsweg

Mein Jakobsweg

Titel: Mein Jakobsweg
Autoren: Elke Sauer
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Bank geholt. Aber hundert Mark habe ich noch, bitte nimm sie.
    Immer noch sehe ich Michaels Hände diesen Schein falten, ganz klein, so klein, wie es nur eben geht, und wie er sich das Geld in die Hosentasche steckt, ganz tief nach unten. Hundertmal schon hatte ich diese Szene erlebt.
    Stumm schauten wir auf unseren Sohn. Er weinte, schon wieder oder immer noch, ich weiß es nicht mehr. Plötzlich schreckte er auf und sagte, nun müsse er gehen. Eine letzte Umarmung, und Peter brachte ihn zur Haustür.
    Michael ist schon fast unten an der Treppe, da kommt er noch einmal zu mir zurück. Ich sehe noch alles genau vor mir. Wie er sich mit der Faust die Tränen aus den Augen wischt und mich mit festem Blick ansieht, mir die Hand gibt.
    Mach’s gut, Mama, sagt er.
    Du auch, mein Sohn.
    Er ist nicht mehr wiedergekommen. Wo er sich aufhielt, wussten wir nicht. Ein halbes Jahr später war er tot. Sein Körper wollte nicht mehr. Genug Heroin, hatte er wohl gesagt und sich für immer diesem Gift verschlossen. Das ist jetzt fünf Jahre her.
     
    Vertieft in meine Gedanken, gehe ich nur langsam weiter. Plötzlich höre ich eine Stimme hinter mir: Elke, siehst du mich nicht? Es ist Ulrike, die auf einem kleinen Mäuerchen sitzt. Ich war, ohne sie zu sehen, an ihr vorbeigegangen.
    Ich habe dich schon beim Kloster überholt, aber du träumst wohl? Fragend schaut sie mich von der Seite an.
    Da magst du wohl recht haben, antworte ich.
    Wir gehen ein Stück des Weges gemeinsam. Oben auf dem Berg liegt Castrojeriz, ein schöner Anblick, aber ein steiler Weg. Über allem trohnt auf dem nächsthöheren Berg eine Burgruine. Ich komme nur mühsam vorwärts. Ulrike sagt: Ich muss schneller gehen, wir sehen uns ja gleich in der Herberge.
    Es muss wohl noch andere gelbe Pfeile geben als die offizielle Beschilderung. Denn die Pfeile, denen ich folge, führen mich in eine private Herberge. Meinen Rucksack trägt der Herbergsvater mir eine schmale Treppe hinauf. In einem schönen Schlafsaal mit großen Fenstern und Sicht über das ganze Tal weist er mir ein unteres Bett zu.
    Es ist ein großes, sehr verwinkeltes, aber auch sehr gemütliches Haus mit großem Aufenthaltsraum und einem Balkon zum Sonnen, einer kleinen Küche. Unten ist eine Waschküche mit vielen großen Becken zum Wäschewaschen. Von hier gelangt man in einen bemerkenswert gestalteten Garten mit vielen Wäscheleinen, sogar Wäscheklammern können wir uns nehmen. Im Garten steht auch ein langer Tisch mit vielen Stühlen. Ich nutze die Gunst der Stunde und lese unter einem Schattenbaum die Wegbeschreibung für den morgigen Tag.
    Schon jetzt habe ich Angst vor dem nächsten Anstieg, den ich von hier aus schon sehen kann. In meinem Buch wird er als anderthalb Kilometer lang und sehr anstrengend beschrieben. Aber danach, versichert mir die Herbergsmutter, sei der Weg flach und eben und sehr gut zu gehen.
    Dann beginnt wieder das übliche Ritual. Erst duschen, diesmal sogar mit richtig warmem Wasser. Frische Sachen anziehen und die getragene Wäsche waschen und aufhängen. Danach bleibt mir noch genügend Zeit, mir den Ort anzusehen. Etwas höher die Straße hinauf steht eine wehrhafte Kirche mit einem großzügigen Vorplatz und einer Bank vor der Tür. Die Tür ist sogar offen. Ich gehe hinein. Drinnen ist es kühl und streng. Die hohen schmucklosen Wände aus naturbelassenem Gestein bewahren den Charakter des Wehrhaften bis in unsere Zeit. Mich friert, und es zieht mich nach draußen zu der Bank, in die Wärme der späten Sonne.
    In einer belebteren Straße hoffe ich ein Geschäft zu finden. Hier ist nun die andere Herberge. Ich sehe viele bekannte Gesichter, aber Ulrike treffe ich nicht. Sogar eine Telefonzelle steht hier, die meine Münzen nicht gleich wieder ausspuckt. Ich hatte noch nicht wieder anrufen können, immer waren die Telefone defekt. Jetzt ist Peter leider nicht zu Hause, und ich bin ein klein wenig traurig.
    Dafür treffe ich zwei Pilgerinnen, die von Hotel zu Hotel wandern, während ihr Gepäck zu den jeweiligen Stationen transportiert wird. Wir sind uns auf dem Camino schon begegnet und haben auch gemeinsam gerastet. Nun sitzen wir drei auf einer Bank und tauschen die Erlebnisse des Tages aus. Ihr Hotel ist gegenüber meiner Herberge. So verabreden wir uns für den Abend zum Pilger-Menü.
    In einem kleinen Geschäft kaufe ich Salami, etwas Käse, Bananen und Brot - und zu meiner eigenen Überraschung eine Flasche Vino tinto. Eine sehr freundliche Verkäuferin - sie
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