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Mein Jakobsweg

Mein Jakobsweg

Titel: Mein Jakobsweg
Autoren: Elke Sauer
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all meinen Sinnen erfahren. Sehr oft werde ich auch leiden, das ist gewiss. Allein schon wegen der schweren Wege, aber hoffentlich nicht auch durch Krankheit. Mein ganz großes Ziel aber ist in jedem Fall Santiago de Compostela - die Krönung eines langen, langen Weges.
     

Von Hornillos del Camino nach Castrojeriz
     
     
    Leben ist, was uns zustößt, während wir uns
    etwas ganz anderes vorgenommen haben.
    Henry Miller
     
    F rüh um fünf leuchten schon wieder die Frühaufsteher mit ihren Taschenlampen. Ich hätte so gern noch etwas geschlafen! Aber schon sind auch die anderen auf. Also packe ich meine wenigen Habseligkeiten, kontrolliere, ob ich nichts vergessen habe, und fülle noch meine Wasserflaschen. Der Herbergsvater verabschiedet jeden von uns. Mich umarmt er sogar, wünscht mir Buen Camino und gibt mir ein Küsschen auf die Wange. Gracias , senor, y adiós, antworte ich, und glücklich gehe ich des Weges. Den gelben Pfeilen folgend, verlasse ich Hornillos del Camino. Später werde ich mein Tagebuch vermissen. Es wird wohl ganz nach unten gefallen sein, noch unter das untere Bett, da hatte ich nicht nachgesehen. Zum Glück habe ich noch den Stift; damit schreibe ich erst mal auf den Rückseiten des Arztbriefes. Irgendwo werde ich einen größeren Laden finden und mir ein neues Heft kaufen.
    Den schönen Weg, an einem Hang entlang, sehe ich bereits vor mir. Überall steht gelb leuchtend der Ginster; die Vögel zwitschern jetzt im Mai mit all ihren Liedern. Etwas bergauf ist eine Kapelle mit einem Friedhof, und der Vorplatz lädt zum Verweilen ein. Aber genau in diesem Moment hält unten auf dem Parkplatz ein Autobus. Noch habe ich die Hoffnung, die Pilger würden sich erst den Ort ansehen. Aber schon kommen sie in kleinen Gruppen, sich lebhaft unterhaltend, meinen Weg herauf. Ich möchte mir meinen Vorsprung erhalten und lasse den Friedhof links liegen.
    Schon als Kind bin ich gern auf die Friedhöfe unserer umliegenden Dörfer gegangen. Für mein Empfinden sagen sie sehr viel über die Bewohner und deren Leben aus. Ich selbst bin auch in einem kleinen Dorf aufgewachsen, lebte dort mit meiner Mutter und meiner Schwester. Und außer den damals ja überall gegenwärtigen Nachkriegsentbehrungen war meine Kindheit sehr glücklich. Bis meine Mutter wieder geheiratet hat. Sie hatte keine glückliche Hand bei der Wahl dieses Mannes. Diese Dinge kommen mir in den Sinn, als ich den Friedhof passiere. Doch schnell konzentriere ich mich wieder ganz aufs Gehen.
    Aber der Versuch, meine Schritte zu beschleunigen, misslingt. Schon bald geht mir die Luft aus. Während ich auf einem Stein sitze, ziehen die Buspilger nun alle an mir vorüber. Langsam und ohne Rucksack, als gingen sie nur spazieren; die Schuhe der meisten sind auch gar nicht zum Wandern geeignet. Ein Glück, dass du nicht mit so einem Bus gefahren bist, denke ich. Gerade von diesem Busunternehmen hatte ich mir Prospekte durchgesehen.
    Nun sind endlich alle vor mir, und ich versuche, Abstand zu halten. Ohnehin erregen Vögel meine Aufmerksamkeit, die einen mir unbekannten, seltsam krächzenden Ruf ausstoßen. Auf jeden dieser Schreie folgt die Antwort von der anderen Seite des Tales. Der eine Vogel müsste ganz in meiner Nähe sein. Dank etwas Geduld entdecke ich ihn schließlich. Mit einem rostroten Fleck auf der Brust und seinem grauen Gefieder, noch dazu auf einem grauen Stein stehend, hebt er sich kaum von der Landschaft ab. Später lese ich in meinem Vogelbuch die Beschreibung einer sogenannten Kleinen Trappe, die in Südeuropa und Afrika beheimatet ist.
    Am Ende dieses herrlichen Wegstücks wartet der Bus auf seine Pilger. Aber noch sind längst nicht alle eingestiegen. Auf einem schönen Platz mit großen Felssteinen rastet ein junges Paar. Mein Buen Camino wird erwidert mit einem Hallo; die junge Frau sagt, komm setz dich zu uns, die Steine sind ganz warm. Gute Idee, ich habe heute sowieso noch nichts gegessen. Habe ich überhaupt noch etwas Essbares dabei? Mir fallen das trockene Brot ein und der Apfel, den ich schon seit Deutschland mit mir trage. Darüber bin ich jetzt richtig froh. Man soll eben nichts wegwerfen! Vorräte für mehrere Tage im Voraus kann ich ja nicht einkaufen, da der Rucksack sonst noch schwerer wäre.
    Nachdem der Bus abgefahren ist, nehmen auch die beiden ihre Rucksäcke. Ich bleibe noch etwas sitzen. Es ist sehr schön, so allein zu sein und an nichts weiter zu denken. Hinter mir plätschert ganz leise ein Bach. Viele
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