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Mein Ist Die Nacht

Mein Ist Die Nacht

Titel: Mein Ist Die Nacht
Autoren: Andreas Schmidt
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tiefsten Grund ihrer Seele vordringen. In seinem Blick lag die
Erfahrung eines reifen Mannes, doch er war nicht wesentlich
älter als sie. Er betrachtete sie aufmerksam, während er
den Eingang freigab und sie hereinbat.
    »Hallo, du musst
die Mandy sein.«
    Freundlich,
sympathisch, stellte sie einigermaßen erleichtert fest. Er
gab den Eingang frei.
    »Ja, die bin
ich. Und du bist…«
    »Clay.«
    Nachdem sie
eingetreten war, drückte er die Tür ins Schloss und legte
den Riegel vor. »Ich bin ein sehr ängstlicher
Mensch«, kommentierte er sein Verhalten, als er Mandys
fragenden Blick sah.
    »Oder besser:
Ich bin ein vorsichtiger Mensch.«
    Sie nickte und
streifte den langen Mantel ab. Darunter trug sie ein kurzes, eng
anliegendes Kleid mit tiefem Ausschnitt. Ihre vollen Brüste
wölbten sich unter dem Stoff. Dazu trug sie schwarze
Nylonstrümpfe und kniehohe Stiefel. Seine lüsternen
Blicke blieben ihr nicht verborgen.
    Sie lächelte.
»Gefalle ich dir?«
    »Siehst gut aus,
wie auf den Fotos im Internet.« Er nahm ihr den Mantel ab, um ihn an
der einfachen Garderobe aufzuhängen. Anscheinend war er ein
ordnungsliebender Mensch, denn er benutzte einen freien Bügel
und strich den Stoff glatt, bevor er den Mantel aufhängte. Sie
betrachtete ihn so unauffällig wie möglich. Clay trug ein
schwarzes Hemd, dazu eine ebenso schwarze Jeans und leichte Schuhe,
natürlich auch in Schwarz. Wie hießen diese Typen doch
gleich? Grufties? Sie trieben sich nachts auf den Friedhöfen
herum. Er passte in diese düstere Gegend. Doch im Gegensatz zu
den Typen, an die sie dachte, ging von Clay sofort eine
unbeschreibliche Faszination aus. Seine Augen zogen sie
förmlich in ihren Bann. Ein Schauer rann ihren Rücken
herunter.
    »Und du bist
also ein Freund der Finsternis?« Sie lächelte ihn kokett
an.
    »Möglich.
Die Dunkelheit fasziniert mich, deshalb liebe ich es, mit dem Licht
zu experimentieren. Fotografie ist die Kunst, mit Licht und
Schatten zu arbeiten.« Seine Lippen bildeten ein schmales
Lächeln. Ein unheimlicher Typ, dachte sie und erschauerte. Ihr
Gastgeber war unwesentlich älter als sie, vielleicht um die
dreißig, hatte pechschwarzes, langes Haar, das er zu einem
Zopf zusammen gebunden hatte. Er trug einen fein gestutzten
Kinnbart. Der Blick seiner grünen Augen lag auf ihr, als wolle
er sie abtasten. Sie blickte sich in dem langen, schmalen Korridor
um. An den Wänden hingen Fotografien in halterlosen
Glasrahmen. Sie zeigten nackte Frauenkörper. Erotische
Fotografie, sehr ästhetisch, meist in Schwarzweiß. Die
Gesichter der Frauen blieben dem Betrachter verborgen - sie lagen
entweder nicht im Bildbereich oder drehten dem Künstler den
Rücken zu. Er beherrschte das Zusammenspiel von Licht und
Schatten, verstand es, die Konturen des weiblichen Körpers
vorteilhaft zu betonen, das erkannte sie auf den ersten
Blick.
    »Gefallen dir
meine Arbeiten?« Er war hinter sie getreten und folgte ihren
Blicken. Sie bemerkte seinen Atem an ihrem Nacken und spürte,
wie sich ihre Nackenhaare aufrichteten. Unwillkürlich trat sie
einen Schritt vor und nickte. »Allesamt Kunstwerke«,
sagte Mandy bewundernd.
    »Du wirst auch
zu einem meiner … Kunstwerke«, erwiderte er und
führte sie in eine Art Wohnzimmer. Ihr fiel auf, dass er
anscheinend aus einem großen Raum mehrere kleine gemacht
hatte. Hier brannten Kerzen. Die Einrichtung war einfach, aber
geschmackvoll. Es gab eine bequeme Ledercouch, einen hölzernen
Tisch davor, einen passenden Sessel, ein Regal mit Bildbänden
und einen hochmodernen, sicherlich sündhaft teuren Fernseher,
der fast eine ganze Wand des quadratischen Zimmers
einnahm.
    Sie blickte sich um.
»Willst du … ich meine, wollen wir …
hier?«
    »Nein, die Fotos
machen wir gleich drüben in meinem Atelier«, antwortete
er lächelnd. »Ich dachte, wir trinken erst einmal etwas,
um uns kennen zu lernen. Um warm zu werden.«
    »Einverstanden.« Sie
sank auf das Sofa. Der Saum ihres Kleides rutschte höher, und
sie bemerkte sofort, dass er ihre Beine betrachtete. Schnell zupfte
sie ihr Kleid zurecht und schlug die Beine
übereinander.
    »Du bist
schön« stellte er fest, bevor er in der Küche
verschwand. »Leider ist meine Getränkeauswahl nicht sehr
groß. Magst du einen Wein, eine Cola oder einen
Whisky?«
    »Dann gerne
einen Whisky.«
    »Geht
klar«, antwortete er aus der Küche, die dem Wohnzimmer
gegenüber lag. Sie hörte ihn mit Gläsern und einer
Flasche hantieren, dann erschien er mit den Getränken
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