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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck
Autoren: Werner Spies
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aufforderte, das Original zu studieren. Nie haben Sigrid und Günter Metken und ich allein nach einer Fotografie eine Arbeit beurteilt. Wir vereinbarten einen Termin in der Berliner Galerie von Dieter Brusberg. Er zählt unter den deutschen, ja wohl unter den europäischen Galeristen zu den besten Kennern des Werkes von Max Ernst. Wir trafen uns in seinen damals noch existierenden Galerieräumen am Kurfürstendamm mit Schulte-Kellinghaus, der einen seriösen, keineswegs aufdringlichen Eindruck machte.
    Er zeigte das Bild mit dem Titel »La Forêt«. Ich habe es gemeinsam mit Dieter Brusberg eingehend betrachtet, und je tiefer ich in dieses Bild eingestiegen bin, desto mehr war ich von seiner Echtheit überzeugt. Das war eindeutig die Technik Max Ernsts. Auf der Rückseite klebte ein auf den früheren Besitzer hinweisendes Etikett: »Alfred Flechtheim«. Für mich hat sich dadurch kein Verdacht ergeben, sondern, im Gegenteil, ein Kreis geschlossen: Während der Arbeit am Œuvre-Verzeichnis hatte mir Max Ernst berichtet, dass er Ende der zwanziger Jahre Flechtheim Bilder überlassen hatte, die ihm nie zurückgegeben worden seien. Der jüdische Händler Flechtheim hatte nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten seinen ganzen umfangreichen Besitz an Bildern verloren. Max Ernst konnte auch nicht sagen, wo diese Bilder geblieben waren. Mir hatte der Bruder von Daniel-Henry Kahnweiler, Gustav, der mit Flechtheim zusammenarbeitete, bereits früher bestätigt, dass es bei seinem Partner eine Reihe von Werken von Max Ernst gegeben habe. Da schien es nur schlüssig, dass – wie Schulte-Kellinghaus erzählte – diese Arbeiten aus einer Sammlung des Großvaters Jägers (später stellte sich heraus, dass die Verwandtschaftsverhältnisse nicht richtig wiedergegeben waren) stammten, der in Krefeld ein großer, aber diskreter Sammler gewesen sei. Insgesamt sieben Arbeiten von Max Ernst habe dieser Mann bei Flechtheim gekauft, und alle seien im Besitz der Familie.
    Ich war überglücklich, auf einen neuen Max Ernst gestoßen zu sein, elektrisiert, dass es noch weitere sechs Arbeiten geben sollte. Ich habe deshalb gar keinen Hehl daraus gemacht, dass mich die übrigen sechs Bilder auch interessierten, und wir vereinbarten, dass er mir nach und nach die Bilder am besten in Paris bei einem auf den Handel mit Max-Ernst-Bildern spezialisierten Galeristen zeigen sollte. So habe ich bei Marc Blondeau und einer anderen Galerie fünf weitere Arbeiten gesehen, die nach den mir gemachten Angaben aus derselben Quelle stammten und dieselben überzeugenden Authentizitätsmerkmale zeigten. Sie waren wie das erste Bild mit dem Flechtheim-Aufkleber versehen. Und hätte Ralph Jentsch nicht herausgefunden, dass dieses Etikett eine Fälschung sein muss, wäre der Schwindel möglicherweise nie aufgeflogen. Alle Gemälde habe ich mir gründlich angesehen und jeweils erklärt, sie für echt zu halten, und deshalb auch schriftlich bestätigt, dass diese Arbeiten in den von mir herausgegebenen Max-Ernst-Katalog aufgenommen würden. Die indirekten Techniken, die Grattage, die Verwendung von Zirkel mit verschiedenen Amplituden, von Kämmen, mit denen der Künstler in die feuchte Farbe parallel geführte Linien und Magnetfelder eingedrückt hatte, und dabei keine Reuezüge – alles sprach für die souveräne Handschrift von Max Ernst. Ein siebtes Bild – wieder ein »La Forêt«, eine große Leinwand – konnte man nach Angabe von Schulte-Kellinghaus wegen seiner Größe nicht nach Paris transportieren, und so bat er mich, nach Mèze im Languedoc in das Haus der Eheleute Beltracchi zu fahren. Ich wurde in den Salon des großen und großzügigen Hauses geführt, lernte Hélène Beltracchi kennen, die nüchtern und unaufdringlich war, mich vor das Bild führte und mich etwa eine Stunde mit dem Bild allein ließ. Ich begegnete nur Frau Beltracchi, Herrn Beltracchi habe ich nie in meinem Leben getroffen. Ich habe den großen Wald nach allen stilkritischen Merkmalen untersucht und war überzeugt und glücklich, auch hier ein Original entdeckt zu haben.
    Der erste Wald, den ich 1999 gesehen hatte, wurde später von einer Kuratorin in die von mir geleitete Max-Ernst-Retrospektive im Metropolitan Museum in New York aufgenommen. Dorothea Tanning, die Witwe von Max Ernst, habe ich vor dieses Bild geführt. Sie war hellauf begeistert und hatte keinen Anflug eines Zweifels an der Echtheit dieses Werkes. Auch andere Museumsdirektoren, Sammler und Kenner Max Ernsts
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