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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck
Autoren: Werner Spies
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Bedeutung von Programmen und Konzepten bildete für die Maler, die zur Gruppe zählen, lange ein Handicap, wurden doch ihre Arbeiten von der Kritik als »literarisch« abgestempelt. Eine derartige Nähe zwischen Bildern und Texten erschien den Vertretern der Doktrin einer autonomen Avantgarde als unerträglich. Anliegen unserer Ausstellung war, dem Besucher die Texte vor Augen zu bringen, die hinter der Ikonographie all dieser rätselhaften Bilder, Zeichnungen, Collagen, Objekte, Fotografien und Filme stecken. Wenn es eine Formel gibt, die die Werke der Künstler und die Texte der Dichter einander annähert, dann die von der »konvulsivischen Schönheit«. Das unerhörte Wort André Bretons vermag die Unterbrechungen der Kausalität und den Aufstand gegen Pragmatismus zu beschreiben. Den surrealistischen Lebensentwurf macht zweifellos der Umgang mit irreduktibler Fremdheit, mit imaginativem Exzess aus, er greift nach einem Zeremoniell, das sich auf die Indienststellung des Disparaten stützt. Die Surrealisten gehören zweifellos mit ihrem Ausbruch aus dogmatischer Rechthaberei zu den unverzichtbaren Geistern der Zeit. Die Art und Weise, wie sie sich mit ungesehenen Bildern, mit außereuropäischer Kunst umgaben, wie sie in ihren Ateliers, in den Zeitschriften Objektmagie inszenierten und beschrieben, wie sie sich gesellschaftlichen und politischen Zwängen widersetzten, verblüffte die zahllosen Besucher unserer Ausstellung. Der Diskurs, der dabei entsteht, lebt von der Unübersetzbarkeit. Bilder und Texte bleiben getrennt.
    Kein Buch bringt diese notwendige Trennung, bei der Bild und Text jeweils für sich geerdet sind, stärker zum Ausdruck als Nadja . Breton durchschießt seinen Text mit Reproduktionen von Bildern und Fotografien. So wird die Fremdheit von realen Szenen erst spürbar. Die unausweichliche Intensität der Nähe zwischen Prosastücken, Gedichten, Abhandlungen, Manifesten und den Bildern definiert die Bewegung. Nicht die Aktion, die sich erzählen und kausal ableiten lässt, sondern das Inchoative steht im Mittelpunkt. Breton antwortet auf die Entdeckung dieser Offenheit mit einer Bildhaftigkeit, die sich seit der passionierten Begegnung mit dem Heterokliten Lautréamonts und De Chiricos fest ins Unterbewusste des Surrealismus verankert hatte: Niemand wisse, was »am Ende dieser beklemmenden Reise« stehe. Die Positivismuskritik, die das surrealistische Manifest durchzieht, bleibt der Beweggrund. Der Bezug zum Leben, nicht das stilistische Gesetz verändert im Umkreis des Surrealismus die Kunst grundlegend. Überall treffen wir in den Biographien der Surrealisten auf Momente, in denen die kausale Verknüpfung schlagartig aufgehoben wird.
    Dies alles gehört zur neuen Ästhetik des Surrealismus. Die Dichter werden zum Auftraggeber jäher und sublimer Bilder. So darf nicht verwundern, dass die von Breton vorgeschlagene Definition des surrealistischen Bildes, die das Prinzip der Überraschung und der Rätselhaftigkeit in den Vordergrund rückt, weitgehend auf formale Kriterien und auf die Suche nach Konstanten verzichtet. Denn in seinen Augen liegt die Kohäsion der Gruppe in der Inszenierung höchster Fremdheit zwischen den Werken. Nichts bringt dies deutlicher zum Ausdruck als der berühmte »Eröffnungszug« seiner Schrift Le Surréalisme et la Peinture : »Das Auge existiert im Zustand der Wildheit.« Etwas Isolierendes umgibt die Themen und die Prozeduren. Allein im Erleben und im Bild, die eine möglichst scharfe Grenze zum bisher Gedachten und Gesehenen zu ziehen vermögen, kann sich das surrealistische Lustprinzip verwirklichen. Die Diskontinuität, die sich am radikalsten in der Ablehnung des narrativen und damit kausal in gesellschaftlichen Konventionen verankerten Schreibens ausdrückt, findet hier Eingang. Das Inkommensurable, das Breton spürt, zeichnet er bei seinem Umgang mit Sprachbildern nach. Bereits die frühesten Texte des Surrealismus werden von den Funken erhellt, die der Kurzschluss nichtisolierter, untereinander fremder Bilder provoziert: Der semantische Defekt führt zum neuen Licht des Surrealismus. Um diesen irritierenden Effekt zu unterstreichen, erschien es mir unumgänglich, für die Bewegung des Surrealismus einen Anfang und ein Ende anzugeben. Das Prinzip Epiphanie forderte dazu auf. Denn diese lebt vom blitzartig auftauchenden Erleben. Den Beginn bildeten die automatischen Texte, »les champs magnétiques«, von Breton und Soupault und Max Ernsts Collagen, die, wie Breton
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