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Mein erfundenes Land

Mein erfundenes Land

Titel: Mein erfundenes Land
Autoren: Isabel Allende
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kein Kummer stand. Chilenische Feste erinnern dagegen an Beerdigungen: Die Männer drängen sich in einer Ecke und reden über Geschäfte, die Frauen langweilen sich. Nur die jungen Leute tanzen zu Musik aus den Vereinigten Staaten, aber kaum sind sie verheiratet, werden sie förmlich wie ihre Eltern.) Die meisten Geschichten und Personen meiner Bücher sind von den Originalen der Familie Barros inspiriert. Die Frauen waren zierlich, gefühlvoll und amüsant, die Männer großgewachsen, gutaussehend und immer für eine Keilerei zu haben; außerdem waren sie »chineros«, wie die Freunde des Bordells genannt wurden, und mehr als einer fing sich eine ominöse Krankheit. Freudenhäuser müssen in Chile eine gewichtige Rolle spielen, denn sie tauchen ein ums andere Mal in der Literatur auf, als wären unsere Autoren besessen von ihnen. Auch ich konnte mich nicht ganz davon freimachen und schuf, obwohl selbst keine Expertin in dem Bereich, in meinem ersten Roman die Prostituierte Tránsito Soto, eine Frau mit einem großen Herzen.
    Ich habe eine hundertjährige Großtante, die der Heiligkeit entgegenstrebt und deren einziger Wunsch es ist, in ein Kloster einzutreten, aber kein Orden, noch nicht einmal die Barmherzigen Schwestern, hält es länger als eine Woche mit ihr aus, so daß sich die Familie ihrer annehmen muß. Sie dürfen mir glauben, daß nichts unerträglicher ist als ein Heiliger,meinem ärgsten Feind würde ich so jemanden nicht zumuten wollen. Während der sonntäglichen Essen im Haus meines Großvaters schmiedeten meine Onkel Pläne zu ihrer Ermordung, doch sie kam stets ungeschoren davon und lebt noch immer. In ihrer Jugend trug diese fromme Frau ein Habit nach eigenem Entwurf, sang zu jeder Tages-und Nachtzeit mit Engelsstimme Loblieder auf den Herrn und entwischte, ehe man sich’s versah, in die Calle Maipú, um dort aus vollem Hals auf die Freudenmädchen einzupredigen, die sie mit einem Hagel fauligen Gemüses empfingen. In eben jener Straße verdiente sich Onkel Jaime, ein Cousin meiner Mutter, das Geld für sein Medizinstudium, indem er in den »Lasterhöhlen« ein Akkordeon malträtierte. Bis zum Morgengrauen schmetterte er ein Lied mit dem Titel »Ich will eine nackte Frau«, ein solcher Skandal, daß die Vetteln aus der Frühmesse liefen, um zu protestieren. Damals standen Bücher wie Der Graf von Monte Christo noch auf dem Index der katholischen Kirche. Stellen Sie sich vor, welches Entsetzen da der herausposaunte Wunsch meines Onkels nach einer nackten Frau auszulösen vermochte. Jaime wurde der bekannteste und renommierteste Kinderarzt des Landes, ein wahrhaft illustrer Politiker – dazu fähig, seine Reden vor dem Senat in gereimten Verse zu halten – und zweifellos der radikalste meiner Verwandten, bereits Kommunist links von Mao, als Mao noch in den Windeln lag. Heute ist er ein wunderbarer und wacher Greis, der seine politischen Ideen mit knallroten Socken veranschaulicht. Ein anderer meiner Verwandten zog sich öfter mitten auf der Straße die Hose aus, um sie einem Armen zu geben, und sein Foto in Unterhosen, jedoch mit Hut, Jackett und Krawatte, erschien wieder und wieder in den Zeitungen. Er hatte eine solch hohe Meinung von sich, daß er in seinem Testament verfügte, man solle ihn stehend begraben, damit er Gott direkt in die Augen schauen könne, wenn er an die Himmelspforte klopfte.Ich bin in Lima geboren, wo mein Vater Botschaftssekretär war. Im Haus meines Großvaters in Santiago wuchs ich auf, weil die Ehe meiner Eltern von Beginn an eine Katastrophe war. Eines Tages, ich war etwa vier Jahre alt, ging mein Vater Zigaretten kaufen und kam nicht wieder. In Wahrheit ging er natürlich nicht die sprichwörtlich gewordenen Zigaretten kaufen, sondern zog als peruanische Indianerin verkleidet, mit bunten Röcken und einer Perücke mit langen Zöpfen, um die Häuser. Er ließ meine Mutter mit einem Stapel unbezahlter Rechnungen und drei kleinen Kindern, eins davon ein Neugeborenes, in Lima sitzen. Meine Seele muß durch dieses erste Alleingelassenwerden einen Knacks bekommen haben, denn in meinen Büchern finden sich so viele verlassene Kinder, daß ich ein Waisenhaus aufmachen könnte; die Eltern meiner Figuren sind tot, verschwunden oder so autoritär und unnahbar, als lebten sie auf einem anderen Planeten. Als meine Mutter sich ohne Ehemann und ohne Halt in einem fremden Land wiederfand, mußte sie den monumentalen Stolz niederringen, in dem sie aufgewachsen war, und zu meinem
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