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Mein erfundenes Land

Mein erfundenes Land

Titel: Mein erfundenes Land
Autoren: Isabel Allende
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Ohr hauten, der nicht auf der Hut war. Sie waren immer zu zweit oder zu dritt unterwegs mit einem halben Dutzend kleinen Kindern an den Rockzipfeln, und wir fürchteten uns zu Tode, weil es hieß, sie raubten fremde Kinder,sperrten sie in Käfige, damit sie verunstaltet heranwuchsen, und verkauften sie später als Attraktionen an den Zirkus. Sie hängten einem den bösen Blick an, wenn man ihnen die milde Gabe verweigerte. Auch andere magische Fähigkeiten wurden ihnen nachgesagt: daß sie Schmuck verschwinden lassen konnten, ohne ihn anzurühren, und Läuseplagen auslösten; daß sie einem Warzen, Glatzen und Zahnfäule an den Leib hexten. Dennoch konnten wir der Versuchung nicht widerstehen und ließen uns von ihnen aus der Hand lesen. Mir sagten sie immer dasselbe: Ein dunkelhäutiger Mann mit Schnurrbart bringe mich weit fort. Da ich mich an keinen Verehrer erinnere, auf den diese Beschreibung passen würde, müssen sie wohl meinen Stiefvater gemeint haben, der einen Robbenbart trug und mich auf seinen diplomatischen Pilgerfahrten in viele Länder brachte.

Ein altes verwunschenes Haus
    Meine früheste Erinnerung an Chile ist die an ein Haus, das ich nie gesehen habe. Es spielt die Hauptrolle in meinem ersten Roman, Das Geisterhaus , und beherbergt dort die Sippe der Truebas. Diese fiktive Familie gleicht in alarmierender Weise der Familie meiner Mutter – solche Figuren hätte ich nicht erfinden können. Was ja auch nicht nötig war, denn wer eine Familie wie die meine hat, der braucht keine Phantasie. Das »große Eckhaus«, das im Buch auftaucht, ist dem früheren Haus der Familie in der Calle Cueto nachempfunden, in dem meine Mutter geboren wurde und von dem mein Großvater so oft erzählte, daß mir ist, als hätte ich darin gelebt. In Santiago gibt es solche Häuser heute nicht mehr, dort wurden sie verschlungen vom Fortschritt und den vielen Menschen, aber auf dem Land findet man sie noch. Ich sehe es vor mir: weitläufig und schläfrig, altersschwach von Gebrauch und Mißbrauch, mit hohen Decken und schmalen Fenstern und drei Innenhöfen. Im ersten wuchsen Orangenbäume und Jasmin, ein Brunnen plätscherte, im zweiten gab es verwilderte Gemüsebeete und im dritten ein Tohuwabohu von Waschtrögen, Hundezwingern, Hühnerställen und ungesunden Dienstbotenzimmern, dunkel und klamm wie Kerkerzellen. Wer nachts aufs Klo mußte, hatte eine Wanderung vor sich, mußte mit einer Tranlampe in der Hand Windböen und Spinnen wehren und sich taub stellen gegen das Knarren der Dielen und das Trippeln der Mäuse. Das altehrwürdige Gemäuer, mit Eingängen an zwei Straßen, bestand aus Erdgeschoß und Mansarde und beherbergte einen Clan aus Urgroßeltern, alleinstehenden Tanten, Vettern, Dienstmädchen, armen Verwandten und Gästen, die sich für immer dort einrichteten und dieniemand wegzuschicken wagte, denn in Chile stehen die »Hausgäste« unter dem Schutz eines sakrosankten Kodex der Gastfreundschaft. Auch das eine oder andere Gespenst von zweifelhafter Echtheit gab es dort; an denen herrscht in meiner Familie kein Mangel. So mancher schwört Stein und Bein, zwischen diesen Mauern hätten die Geister der Verstorbenen gespukt, aber einer meiner betagten Verwandten gestand mir, er habe sich als Kind mit einer alten Militäruniform verkleidet, um Tante Cupertina zu erschrecken. Die Ärmste zweifelte keinen Moment daran, daß ihr nächtlicher Besucher der Geist von Don José Miguel Carrera war – einer der Väter des Vaterlandes –, der sie um Geld für heilige Messen zur Rettung seiner Veteranenseele ersuchte.
    Die Geschwister meiner Großmutter, die Barros, waren zu zwölft, alle ziemlich verrückt, aber keiner gemeingefährlich. Auch als sie schon geheiratet hatten, blieben einige von ihnen mit ihren Familien im Haus in der Calle Cueto. Meine Großmutter Isabel, die meinen Großvater Agustín heiratete, blieb ebenfalls. Die beiden lebten nicht nur in diesem Taubenschlag voller kauziger Verwandter, sondern kauften nach dem Tod der Urgroßeltern auch das Haus und zogen dort über Jahre ihre vier Kinder groß. Mein Großvater ließ das Gemäuer zwar renovieren, aber seine Frau litt wegen der Feuchtigkeit in den Wänden an Asthma. Außerdem füllte sich die Nachbarschaft mit Armen, und die »besseren Leute« zogen in Scharen in den Osten der Stadt. Schließlich beugte sich mein Großvater dem gesellschaftlichen Druck und baute ein modernes Haus im Providencia-Viertel, das damals noch außerhalb lag, aber eine
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