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Mein Boss, die Memme

Mein Boss, die Memme

Titel: Mein Boss, die Memme
Autoren: Patrick D. Cowden
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Stockwerke, und ich wollte den Morgen nicht so wortlos beginnen. Also schwärmte ich von der gestrigen Feier. Dabei duzte ich ihn. Aber ihm war der Kater offenbar schwer aufs Gemüt geschlagen: Ein kurzes Aha, mehr erwiderte er nicht. Wir verließen den Aufzug – er zuerst, geradezu fluchtartig. Dann blieb er ruckartig stehen, drehte sich zu mir um und forderte mich auf, ihm die Unterlagen für ein Projekt noch heute vorbeizubringen. Dabei sprach er mich sehr bestimmt wieder mit »Sie« an. Was sollte das denn, dachte ich bei mir. Als hätte er eine gespaltene Persönlichkeit – gestern noch der kumpelhafte Partyhengst, heute wieder der distanzierte Chef, der er vorher war.
    Irritiert erzählte ich meinen Kollegen davon. Die lachten nur. Ich solle seine lockere Laune auf der Feier bloß nicht ernst nehmen. Das kannten sie schon von früheren Gelegenheiten.
    Der Kontakt zu meinem Boss wurde mir jetzt erst recht unangenehm. Ich hatte sogar das Gefühl, als hätte er seitdem ein Auge auf mich. Als hätte ich mir mit meinem Duzen im Aufzug zu viel herausgenommen. Das lastete in den nächsten Tagen auf mir wie ein zweiter, schwerer Kater. «
    Sven M., Ingenieur in einem
Maschinenbau-Unternehmen
    Die zwei Seiten dieses Chefs verwundern mich nicht. Viele deutsche Unternehmen, als Orte emotionaler Kontrolle, fordern solch widersprüchliches Verhalten geradezu heraus. Gefühle lassen sich aber nicht verhindern, nur unterdrücken.
    Â»Dienst ist Dienst, Schnaps ist Schnaps« wird sich der Chef im besagten Beispiel gedacht haben, bis sich unter dem Einfluss des Schnaps ungewollt eine andere Seite von ihm offenbarte, die weit mehr über ihn aussagte, als ihm lieb war. Sie verriet sein Bedürfnis nach emotionaler Nähe und Verbrüderung – den Wunsch, Teil einer Gemeinschaft zu sein.
    Wer weiß, vielleicht ist er zuhause ein lustiger, lockerer Typ, in seinem Sportverein sogar die Spaßkanone. Sobald er jedoch durch die Eingangstür der Firma tritt, ist davon nichts mehr zu spüren. Wie schade!
    Im Büro fehlt ihm, wie so vielen deutschen Chef-Kollegen, der Mut, er selbst zu sein. Stattdessen verkriecht er sich hinter seiner Chef-Rolle und einem starren, nicht lesbaren Chef-Gesicht. Das distanzierte Verhalten ist seine Art, mit dem so unberechenbaren Wirrwarr an Gefühlen und Erwartungen umzugehen – denen seiner Mitarbeiter und seinen eigenen.
    Die unpersönliche Chef-Maske gibt solchen Memmen die Sicherheit, ja die Zuflucht, die sie brauchen, um die Zügel in der Hand zu behalten. Nichts von sich preisgeben müssen, um nicht angreifbar zu werden. Seine Furcht im Aufzug war offensichtlich zum Greifen spürbar – wäre der junge Mitarbeiter nicht so sehr mit seiner eigenen Gemütslage beschäftigt gewesen. Was wäre wohl passiert, wenn der Mitarbeiter trotzig beim Du geblieben wäre?
    Die Entfremdung auf dem Weg nach oben
    Vorgesetzte, die sich aus Unbehagen vor ihrem Team in ihrem Büro verschanzen und auch sonst jede Gelegenheit verstreichen lassen, sich persönlich zu involvieren, zahlen für ihren Rückzug einen hohen Preis: Sie entfremden sich mit der Zeit von ihren Mitarbeitern.
    Diese Entfremdung ist nicht nur einem linkslastig arbeitenden Gehirn und einem schwach ausgeprägten Kommunikationstalent geschuldet. In großen Unternehmen mit vielen Hierarchiestufen geht das Erklimmen der Karriereleiter einher mit dem stufenweisen Abschied von den Menschen an der Basis eines Unternehmens.
    Große Unternehmen sind so komplex wie die Gesellschaft, in der wir leben. Konzerne wie Daimler oder Siemens bestehen aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen mit mehr als zehn Hierarchieebenen. Das zu definieren, was die Menschen auf diesen Ebenen zusammenhält, was den Vorstand mit dem Mechaniker in der Produktion verbindet, wird immer schwerer. Je loser das gemeinsame Band, je komplexer und dadurch anonymer ein Unternehmen, desto mehr empfinden Menschen es als wichtig, die eigene Stellung deutlich erkennbar nach außen zu repräsentieren.
    Je höher auf der Leiter der Chef, desto ausgeprägter das Ausscheren aus der Masse, desto leichter zu erkennen die Statusinsignien. Da gibt es separate Aufzüge und Kantinen, mit denen sich die Wahrscheinlichkeit spontaner Aufeinan dertreffen minimieren lassen. Da schirmen Bodyguards, Fah ­rer und spitzzüngige Chef-Sekretärinnen ihre Vorstandsbosse ab vor
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